Kultur Michael, der Holocaust und ein Trierer Konzert

Trier · Wann ist Kunst nicht mehr salonfähig? Ein Konzert wird in Trier zum Politikum. Denn der Komponist verteidigte den Holocaust.

   Lässt sich Kunst von ihrem Schöpfer trennen? Diese  Frage stellt sich aktuell bei Hollywood-Produzent Harvey Weinstein, bei Michael Jackson und in Trier nun auch bei dem Komponisten Hans Pfitzner.

Lässt sich Kunst von ihrem Schöpfer trennen? Diese Frage stellt sich aktuell bei Hollywood-Produzent Harvey Weinstein, bei Michael Jackson und in Trier nun auch bei dem Komponisten Hans Pfitzner.

Foto: dpa/DB

Kann man ein solches Konzert mit Steuergeld bezuschussen? Ein Konzert, das in Trier anlässlich des 150. Geburtstags eines Komponisten zu hören sein wird, der glühender Antisemit war? Ein Komponist, der den Holocaust nicht nur verharmloste, sondern auch verteidigte?

Der rheinland-pfälzische Kulturminister, die Stadt Trier und andere Sponsoren haben eine deutliche Antwort auf diese Frage gefunden: Nein! Und so wird der Richard Wagner Verband Trier-Luxemburg auf keinen seiner üblichen Geldgeber zurückgreifen können, wenn er am 29. September in der Trierer Abtei St. Maximin eine Kantate von Hans Pfitzner zu Gehör bringt: „Von deutscher Seele“, ein Werk, das an sich unpolitisch ist. Handelt es sich doch um ein romantisches Singstück, dessen Texte aus einer Sammlung von Sprüchen und Gedichten Joseph von Eichendorffs bestehen.

 Eine Büste des Komponisten Hans Pfitzner. Foto: Andreas Praefcke

Eine Büste des Komponisten Hans Pfitzner. Foto: Andreas Praefcke

Foto: Andreas Praefcke

Und so flammt sie nun auch in Trier auf – die Frage, ob sich ein Werk von dem Künstler trennen lässt, der es erschuf. Eine Frage, die nach einer Fernsehdokumentation über die Missbrauchsvorwürfe gegen Michael Jackson aktuell weltweit heiß debattiert wird. Sollte man Songs des King of Pop weiter im Radio spielen? Und: Kann man Filme von Hollywood-Produzent Harvey Weinstein noch im Kino oder Fernsehen zeigen nach all den Vergewaltigungsvorwürfen gegen diesen Mann, dessen Vergehen Ursprung der MeToo-Debatte waren? Nun geht es bei Pfitzner nicht um Missbrauch und Vergewaltigung, nicht um ein Verbrechen, das er selbst begangen hätte, sondern um Worte wie jene, mit denen er 1945 in seiner Glosse zum Zweiten Weltkrieg Hitlers Holocaust rechtfertigte: „Das Weltjudentum ist ein Problem“, schrieb er und Hitler habe „den Standpunkt des Kammerjägers“ eingenommen, „der zum Vertilgen einer bestimmten Insektensorte angefordert wird.“ Nicht das Warum sei Hitler vorzuwerfen, sondern nur das Wie, schreibt der Komponist, ehe er weiter ausführt: „In den KZ-Lagern mögen schreckliche Dinge geschehen sein, wie sie in solchen Umwälzungsperioden immer vorkommen (...).“ Wenn die „Deutschen aber einmal eine Gegenrechnung der Grausamkeiten aufstellen wollten, die an uns verübt wurden“, da würde sich das Verhältnis von Schuld und Anklage gewaltig ändern...

Kann man das Werk eines Menschen, der solche Dinge schreibt – egal wie künstlerisch wertvoll es nun sein mag – würdigen? Wie im Falle Michael Jacksons oder Weinsteins gibt es darauf keine eindeutige Antwort, sondern eine spannende Debatte, in der unterschiedliche Positionen aufeinanderprallen.

Fest steht allein: Anders als üblich sind weder der Kultursommer Rheinland-Pfalz noch das Trierer Rathaus oder die Kulturstiftung Trier bereit, dem Verband Geld für das Konzert zu geben. Das Trierer Theater lehnt es strikt ab, zu kooperieren. Und auch das Mosel Musikfestival erteilte eine Absage – wenn auch aus anderen Gründen.

Rund 15 000 Euro fehlen dem Richard Wagner Verband nun, und er hofft, diese per Crowdfunding durch private Spenden hereinzubekommen. Dennoch hält er an seinem Vorhaben fest. Der Trierer Konzertchor, die Staatsphilarmonie Rheinland-Pfalz, der Organist und namhafte Solisten wurden längst verpflichtet. Aber warum muss es Pfitzner sein? Warum nicht einfach etwas anderes?

Die Argumente der Organisatoren: „Ich bin Musiker und mache das aus musikalischen Gründen“, sagt Verbandsvorstand Jochen Schaaf, der auch künstlerischer Leiter des Konzertchors ist. Die Qualität des Stücks sei sehr hoch, und in der Spätromantik gebe es wenig Vergleichbares. In den 80er und 90er Jahren sei das Werk anstandslos aufgeführt worden. Heute sei man da empfindlicher. Angesichts der politischen Entwicklung, des Aufstiegs der AfD, könne er das auch verstehen, sagt Schaaf, der es dennoch bedauert, keine Förderung zu erhalten. „Sind wir im 21. Jahrhundert berechtigt, Künstler, die vor so langer Zeit gelebt haben, moralisch zu beurteilen? Ist das ein Grund, ein Werk nicht aufzuführen?“ Oder müsse man den Künstler nicht als Produkt seiner Zeit sehen? Und was sei mit Carl Orff, der für die Nazis komponierte? Was mit Richard Strauss, der unter Hitler sogar Präsident der Reichsmusikkammer wurde? „Bei denen kräht kein Hahn danach“, sagt Schaaf, der den Sponsoren (ohne den gewünschten Erfolg) vorgeschlagen hatte, als Kontrast zu Pfitzner zusätzlich das siebenminütige Melodram „Ein Überlebender aus Warschau“ des jüdischen Komponisten Arnold Schönberg aufzuführen. Dieser hatte 1947 übrigens von Los Angeles aus eidesstattlich erklärt, dass Pfitzner „Deutschnationaler im Sinne Richard Wagners, also mit einer kleinen antisemitischen Trübung, war“. Aggressivität habe er jedoch nie gespürt, schreibt Schönberg.

„Wir wollen den (kulturpolitisch, nicht rassistisch begründeten) Antisemitismus Pfitzners keineswegs leugnen, sind jedoch der Meinung, dass seine bedeutenden Werke als Bestandteil unseres kulturellen Erbes aufgeführt werden sollten“, sagt der Trierer Musikwissenschaftler und Komponist Wolfgang Grandjean, Vorstandsmitglied im Wagner Verband.

„Das künstlerische Werk steht über seinem Schöpfer und seinen Verfehlungen“ – das gelte für alle großen Künstler und ihre Werke, auch für Richard Wagner. Die Zahl der Pfitzner-Aufführungen sei seit Jahren rückläufig. Dies sei Ansporn, dieses Werk, das Grandjean zu den großen deutschen symphonischen Chorwerken zählt, „wieder einmal ins Bewusstsein zurückzurufen und zur Diskussion zu stellen“. Dabei gehe es nicht um Politik, sondern „um die Kunst – und um Kunstfreiheit“.

Die Sicht der Kritiker: Ganz anders sieht all dies Theaterintendant Manfred Langner, der eine Kooperation abgelehnt hat. „Ich halte es weder ethisch noch künstlerisch für richtig, einen Mann wie Pfitzner wieder salonfähig zu machen, der selbst nach 1945 noch bekennender Antisemit und Holocaust-Verteidiger war. Der dem ,Schlächter von Polen’, Hans Frank, kurz vor Kriegsende ein Werk widmete und noch nach 1945 seine herzliche Verbundenheit bekundete. Der noch nach 1945 Hitler verteidigte und die Gräueltaten in den Konzentrationslagern mit Verbrechen an Deutschen aufrechnete.“ Wenn man nicht nur seine Noten, sondern auch seine Schriften lese, könne eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Komponisten allenfalls in einer historischen Dokumentation erfolgen, aber nicht, indem man – wie angefragt – zum 150. Geburtstag „sein schwülstiges Oratorium“ aufführe. Da könne er das Ansinnen der Organisatoren nicht nachvollziehen.

Ganz ähnlich argumentiert Triers Kulturdezernent Thomas Schmitt. Solch ein Konzert aus Anlass des 150. Geburtstags aufzuführen, „das wäre wie eine Würdigung der Person Pfitzners zu verstehen“. Angesichts dessen antisemitischer Äußerungen hatte auch die Stadt schnell eine Antwort parat: Nein. „Die dürfen es gerne aufführen, aber nicht mit unserer Förderung“, sagt der Kulturdezernent.

Der Kultursommer Rheinland-Pfalz hatte nicht nur politische und moralische Gründe, eine finanzielle Unterstützung abzulehnen. Denn terminlich konkurriert das Pfitzner-Konzert mit Theateraufführungen und Konzerten des Mosel Musikfestivals. Hinzu kommt laut Festivalintendant Tobias Scharfenberger, dass es innerhalb weniger Wochen in Trier vier große Oratorienkonzerte gebe. „Das ist ja ganz unglücklich“, sagt Kultursommer-Geschäftsführer Jürgen Hardeck. Ein Overkill. Die Leute könnten ja nicht überall hingehen.

Zudem habe sich bei Recherchen herausgestellt, dass es einen „Riesen-Ärger“ mit dem Zentralrat der Juden gab, als Dirigent Ingo Metzmacher die Kantate 2007 zum Tag der Deutschen Einheit in Berlin aufführte. Mit dem Verweis auf dieses Konzert hatten die Organisatoren bei Hardeck eigentlich für eine finanzielle Förderung werben wollen. Das ging nach hinten los. Der Zentralrat kritisierte damals, die Aufführung sei der „dreiste und gemeingefährliche Versuch, durch Provokation einen unbelehrbaren Antisemiten salonfähig zu machen“. Auch Pfitzners Biografie begeisterte wenig. „Er gehörte zu den Unbelehrbaren“, sagt Hardeck. Da helfe es nicht, ein Sieben-Minuten-Stück von Schönberg dazu zu spielen. „Es wirkt wie als Alibi angeklebt“, sagt der Chef des Kultursommers, der seinem Chef, Kulturminister Konrad Wolf, schließlich einen Pro-Contra-Vermerk zukommen ließ, der auf der Haben-Seite verzeichnete, dass das Werk von hoher Qualität sei und dessen Titel und Texte sich gut in das aktuelle Kultursommer-Motto „Heimaten“ einfügten. Wolf lehnte ab.

Und die Kunst? Ein Dilemma. Tobias Scharfenberger, Intendant des Mosel Musikfestivals, verweigert eine Kooperation nicht generell, da er der Meinung ist, „dass ein Festival immer auch Raum für Diskussionen eröffnen sollte und Pfitzner bietet dafür definitiv jede Menge Stoff.“ Ein reines Festkonzert aus Anlass des 150. Geburtstages wäre für ihn allerdings nicht denkbar. Nicht nur, weil er das finanzielle Risiko als hoch bewertet. Nur in einem größeren Kontext käme dies für ihn in Frage, zum Beispiel mit einem Symposium zur Rolle des Künstlers in einer Diktatur sowie der Gegenüberstellung mit Komponisten, die dem Nazi-Terror entflohen oder ihm zum Opfer fielen.

Aber kann man das Werk denn nicht unabhängig vom Künstler betrachten? „Diese Entscheidung ist extrem schwierig“, sagt Scharfenberger. Mahler, Strauss und andere hätten Pfitzners Werk sehr geschätzt. Doch seine stark antisemitischen Positionen, seine Äußerungen über das Dritte Reich noch nach 1945 und seine Polengastspiele auf Einladung eines der schlimmsten Nazischergen, Hans Frank, „bei denen sich Pfitzner feiern, ehren und bewirten ließ und dem er gar eine Orchesterpolonaise widmete“, seien hochproblematisch.

Aber: Der hochverehrte Richard Strauss habe für die Nazis eine Olympia-Hymne geschrieben. „Wir bewundern die Madrigale eines Gesualdo, der aus Eifersucht seine Frau und ihren Liebhaber ermordete. Wagners unverhohlener Antisemitismus macht uns fassungslos und doch strömen in der ganzen Welt Zigtausende von Menschen zu den Aufführungen seiner Werke“. Die MeToo-Debatte, Michael Jackson, R. Kelly, Kevin Spacey, die Liste der Künstler lasse sich endlos fortsetzen, „haben uns noch einmal sehr bewusst gemacht, dass ein großer Künstler nicht notwendigerweise auch ein großer Mensch ist – im Gegenteil“, betont der Sänger und Intendant.

Und doch gebärten manche dieser seelischen Abgründe, die diese Künstler in sich trügen, große Kunstwerke.

Kommentarlos dürften diese aber in keinem Fall gezeigt werden. Bestünde sonst doch die Gefahr, Fehlverhalten „unter dem Deckmantel der künstlerischen Außergewöhnlichkeit“ zu legitimieren.

Der Richard Wagner Verband hofft nun auf private Spenden. Ab 100 Euro reserviere man für den 29. September „einen sehr guten Platz im Konzertsaal“. Ab einer Spende von 200 Euro werden Förderer im Programmheft erwähnt – wenn sie das denn wollen.

Die Kantate von Hans Pfitzner „Von deutscher Seele“ mit Texten von Joseph Eichendorff soll am 29. September um 17 Uhr in St. Maximin zu hören sein. Solisten sind Susanne Bernhard, Sopran, Marion Eckstein, Alt, Andreas Post, Tenor, Franz-Josef Selig, Bass. Es musizieren: Trierer Konzertchor, Staatsphilharmonie Rheinland- Pfalz, Ludwigshafen, Orgel- Wolfgang Koloseus, Leitung: Jochen Schaaf.

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