Konzert Kein Zwang mehr zur Versöhnung

Trier · Eindrucksvoll nach mattem Start: das 3. Trierer Sinfoniekonzert im Theater.

Victor Puhl war überglücklich. Am Ende des 3. Sinfoniekonzerts eilte Triers Generalmusikdirektor durch die Reihen der kräftig verstärkten Philharmoniker, bedankte sich per Handschlag bei allen mit solistischen Aufgaben, gab den obligaten Blumenstrauß weiter  an den Solocellisten, umarmte den Konzertmeister. Gründe für die Hochstimmung gab es in der Tat. Mit der 15. Sinfonie von Schostakowitsch war Orchester und Dirigent ein Meisterstück gelungen.

Freilich: Vor der Pause gab es nicht immer solchen Anlass zur Begeisterung. Die Puschkin-Walzer op. 120 von Prokofjew liefen mit Ausnahme der elegant getupften Klarinetten-Töne reichlich erdenschwer und ohne letzte Präzision ab.

Und Bartoks 3. Klavierkonzert? Was Ya-ou Xie gelang, ist aller Hochachtung wert. Die südchinesische Pianistin brilliert vor allem im vollgriffigen Einstieg zum Finale, gibt ihm Energie und Substanz mit und verleiht dem Fugato in der Satzmitte Deutlichkeit und Transparenz. Mag sein, dass der Solistin, aber auch dem begleitenden Orchester unter Victor Puhl manche Nuancen abhanden kamen, dass die Interpretation etwas allzu Handfestes mitbrachte. Anders freilich der Adagio-religioso-Mittelsatz. Da strahlen sie tiefe Nachdenklichkeit aus, eine fast philosophische Weltweisheit.

Und dann der Schostakowitsch. Das einleitende Flötensolo signalisiert: Die 15. und letzte Sinfonie fordert von den Musikern in erheblichem Umfang solistische Qualitäten. Und die Philharmoniker nehmen die Herausforderungen an. Flöte, Klarinette, Fagott, die Percussion, allen voran Konzertmeister und erster Cellist, sie spielen ihre umfangreichen Soli aus – tadellos, aber ohne Selbstdarstellung. Und das gesamte Orchester samt Verstärkungen strahlt unter Victor Puhls ungemein detailreichem Dirigat eine Spannung und Konzentration auf, die aufs Publikum überspringen. Vor der großen Passacaglia im Finale war es, als würden alle Atem holen und alles zusammennehmen für diese gewaltige Musik, das sich aufbäumt und am Ende flüsternd erschlischt. Die 15. Sinfonie ist eine Sinfonie der Zitate, am auffälligsten Rossinis „Guillaume Tell“. So etwas lässt sich als Ironie verstehen und entsprechend pointieren. aber Victor Puhl lässt die Zitate ohne weiteren Nachdruck einfach ausspielen. Es sind kalkulierte Fremdkörper und sie bleiben es.

In dieser letzten Sinfonie legt der Komponist der Zwang zur Versöhnung ab, der manch ältere Kompositionen, wie die 5. Sinfonie so auffällig prägt. Der späte Schostakowitsch ist anders. Er stellt krass Gegensätzliches nebeneinander - unvermittelt und ungeschönt. Das betrifft nicht nur die Zitate, sondern überhaupt die Stimmungen in dieser Sinfonie, das Nebeneinander von religiöser  Tröstung und Verzweiflung im langsamen Satz, die Grotesken im Scherzo, die vollstimmigen Höhepunkte in den Ecksätzen, von denen man nicht weiß: sind sie Triumph oder nur laute Verzweiflung.

Und dann dieser leise, Schritt für Schritt abebbende letzte Abschnitt mit den liegenden Streicherakkorden und dem zerbrechlichen Klang von Triangel, Castagnetten, Glocken,  Celesta und anderen Schlaginstrumenten. Ein eindringlicher, ein Atem beraubender Schluss.

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