Abschied vom Klischee: Orchestre Philharmonique mit Bruckner

Luxemburg · Was geschieht, wenn sich ein französisch orientiertes Orchester unter einem französischen Dirigenten an Bruckners deutsches Urgestein wagt? Das Orchestre Philharmonique und Emmanuel Krivine haben es getan und der "Romantischen" vor 1500 Besuchern ein deutliches Profil verliehen.

Luxemburg. Bei allem Respekt vor Luxemburgs Orchestre Philharmonique: Wie schön wäre für Mozarts d-Moll-Klavierkonzert, wie schön wäre für Solistin Maria João Pires ein hochklassiges Kammerorchester gewesen! Das hätte sicherlich die sinfonischen Restbestände vermieden, die sich bei den Luxemburgern unter Emmanuel Krivine immer wieder einschlichen, hätte Mozarts einzigartige Verbindung aus kammermusikalischer Intimität und präziser Theatralik deutlicher ausformuliert, hätte vielleicht auch mehr Spielkultur eingebracht.
Schade auch, weil Maria João Pires gerade das kultivierte, was beim Orchester unterzugehen drohte - der leuchtende, helle, aber nicht spitze Ton, der perlende Anschlag, die ausformulierten Triller, das sorgfältig dosierte Pedal, die Transparenz, vor allem aber ein wohlformuliertes,"sprechendes" Musizieren. Die portugiesische Pianistin spielte sich in dieses Konzert förmlich hinein, vermied virtuose Überlegenheitsgesten, aber auch alle Beiläufigkeit. Ein filigraner und doch hoch expressiver Mozart.
Aber dann Bruckners Vierte, die "Romantische": Ein paar Unreinheiten der Bläser, ein unpräzises Seitenthema im Kopfsatz - geschenkt! Emmanuel Krivine und seine Luxemburger geben dieser Sinfonie hellhörigen Ausdruckwillen, Spannung, Sorgfalt und Subtilität mit, die tief beeindrucken. Die großen Fortissimo-Höhepunkte klingen weit und voll.
Wärme und Klangfülle


Immer wieder nimmt Krivine den Taktstock in die linke Hand und beschwört mit der offenen Rechten gestenreich Wärme, Klangfülle, Nähe zum Gesang - kurz: die deutsche Romantik, den Schubert in Bruckner. Dem Schubert-nahen Kopfsatz-Seitenthema verleihen sie unforcierte Eindringlichkeit, und im langsamen Satz, in dem so deutlich "Der Tod und das Mädchen" anklingt, entfalten vor allem die Bratschen eine zaghaft-andächtige Stimmung, ein eindringlicher Gegensatz zu den großen Blech-Höhepunkten. Die Hörner und Trompeten überzeugen im "Jagd"-Scherzo mit den faszinierenden Raumwirkungen und den Assoziationen von Vertrautsein und Heimat.
Vielleicht heben moderne Bruckner-Interpretationen gerade bei der "Romantischen" allzu einseitig auf den markanten Personalstil des Komponisten ab und vernachlässigen die Werk-Individualität. Krivine und sein Orchester beziehen dazu wohltuend Distanz. mö

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