Alles hat ein Ende, auch die Wurst

TRIER. Es geht um die Wurst. Wenn wir unsere Essgewohnheiten nicht ändern, gibt es für den kleinen Hunger bald nur noch Pommes, Kebab und Burger.

 Eine deutsche, vom Aussterben bedrohte Delikatesse: Die Currywurst hat es schwer auf dem Fast-Food-Markt.Foto: Christian Jöricke

Eine deutsche, vom Aussterben bedrohte Delikatesse: Die Currywurst hat es schwer auf dem Fast-Food-Markt.Foto: Christian Jöricke

Verzweiflung, Neugierde und auch ein bisschen Hunger trieben mich kürzlich zum Erwerb einer eingeschweißten Fertig-Currywurst. Dieses Produkt umfasst eine in Ketchup ertränkte, zerstückelte "Bockwurst", die in der Mikrowelle oder im Wasserbad erhitzt und anschließend mit Currypulver bestreut wird. Unter der Packung klebt der "stilechte" Holzpiekser, der leider zu klein ist, um die Industrieköche, die so etwas produziert haben, angemessen zu bestrafen. Zwar war mit diesem gewiss einmaligen Erlebnis die Neugier, dafür aber nicht der Hunger gestillt. Und die Verzweiflung wuchs weiter. Verzweiflung darüber, dass es immer schwieriger wird, eine gute Currywurst zu bekommen. Vor einigen Wochen suchte ich hoffnungsvoll eine der wenigen mir noch unbekannten Imbissbuden in Trier auf und bestellte das Menü, bei dem "Fit for Fun"-Abonnenten allein beim Gedanken daran nachts schweißgebadet aufwachen: Currywurst mit Pommes und Cola. Hätte ich vorher besser auf das Bratblech geschaut. Auf einem Stück Alufolie, das einem stark ölenden Motor entnommen zu sein schien, ächzten und zischten ein paar Bratwürste vor sich hin, deren Haut der eines kettenrauchenden 80-Jährigen ähnelte. Auch ein übertriebener Schuss Ketchup vermochte es nicht, der verdorrten Ex-Wurst etwas Feuchtigkeit zurückzugeben. Die Gabel glitt durch die saftlosen Fleischfetzen wie durch Jahrhunderte altes Pergament.Kebab verdrängt die Currywurst

"Du hättest hier Döner essen sollen und nicht Wurst", riet mir ein Stammgast wenig später und viel zu spät. Aber genau da liegt das Problem: Kebab verdrängt die Currywurst. Denn eine gute Currywurst braucht eine anspruchsvollere und zeitintensivere Zubereitung als das gefüllte Fladenbrot. Der Fleischballen im Kebabhaus brutzelt den ganzen Tag rotierend vor sich her und bekommt bei Bedarf ein paar Fitzelchen abgesägt. Es macht keinen Unterschied, ob der Batzen zuletzt vor einer Minute oder einer Stunde angeschnitten wurde.Ein Nahrungsmittel im Teufelskreis

Beim amerikanischen Bruder, dem Burger, verhält es sich ähnlich. Die tiefgekühlten Hackfleischpads sind schnell gebraten oder gegrillt. Eine Bratwurst hingegen, aus der später einmal eine Currywurst werden soll, benötigt einige Minuten korrekt dosierte Temperatur, bis sie genussfertig ist. Weil das oft zu lange dauert, legen die Imbisswirte auch ohne akute Nachfrage Würstchen auf den Brater. Und dann liegen sie da. Und braten. Und braten. Und werden ab und zu gedreht. Und braten weiter. Und irgendwann kommt die berühmte Alufolie… Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist auch die beste Bratwurst nicht mehr zum Verzehr geeignet. Zum Verkauf allerdings meistens schon. Dafür wird sich der Abnehmer beim nächsten Ma(h)l dann eher für das amerikanische Hackfleischbrötchen oder das Lammgemetzel "mit viel scharf" entscheiden. Die Currywurst verliert immer mehr Freunde, bleibt dadurch noch länger auf dem Bratblech liegen und schmeckt noch schlechter - ein Teufelskreis. Etwas Hoffnung besteht allerdings noch. Der Wurstfan muss jedoch wie der Feinschmecker fürs Drei-Sterne-Restaurant häufig weitere Wege in Kauf nehmen. Die Traumkombination - feine, würzige Wurst, nicht zu geschmacksintensiver Ketchup, hochwertiger Curry, richtige Bratzeit - findet man noch in spezialisierten Fachimbissbuden ("Wurstbud", Sehlem), in gut frequentierten, menschenfreundlichen Bahnhofsbratereien ("Mitropa", Koblenz) und in einigen deutschen Fußballstadien (Bökelberg, Mönchengladbach). Allerdings gibt es in diesem Bereich auch Ausnahmen (Müngersdorfer Stadion, Köln). Für die Currywurst wird es immer schwieriger, sich in der kulinarischen Diaspora zu behaupten. Damit ihr Name wieder ganz oben auf den Menü-Tafeln der Imbissbuden erstrahlt, soll ein Appell die Ohren aller Nichtvegetarier erreichen: "Menschen, esst mehr Currywurst!" Es geht um dieselbe. Demnächst: Nachtisch der Nachkriegszeit - Das Comeback der "armen Ritter".

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