Alles swingt im Takt Rossinis

LUXEMBURG. Seit der Literaturnobelpreisträger und Regisseur Dario Fo 1992 in Amsterdam Rossinis "Barbier von Sevilla" in Szene setzte, hat seine Produktion eine Art weltweiten Kultstatus erreicht. Warum, das kann man derzeit im "Grand Théâtre" anschaulich miterleben.

Manchmal muss man einfach Glück haben. Weil Amsterdam die Inszenierung neu ins Programm nimmt, kommt Luxemburg in den Genuss eines Gastspiels mit einem frisch eingearbeiteten, exzellent besetzten Ensemble, und das, noch bevor das Publikum an der Amstel die Chance hat, diesen genialen "Barbier" wiederzusehen. Was macht Dario Fo, der inzwischen 80-jährige Anarcho-Komödiant mit dieser fast zu Tode gespielten Opern-Komödie? Er bringt sie als Regisseur, Bühnenbildner und Kostümdesigner einfach dahin zurück, wo sie herkommt: In die Commedia dell'Arte, das Maskentheater, die Burleske. Gut, sein Sevilla sieht ein bisschen aus wie Venedig im Karneval, Gondolieri inklusive. Aber was soll's, es summt und brummt auf der Bühne, die bevölkert ist mit urkomischen Neben-Gestalten, die fast pausenlos die eigentliche Handlung imitieren, kommentieren, ironisieren. Und das Schöne: Die Regie verzichtet konsequent auf High-Tech-Bühnentricks, alles, was man sieht, entsteht durch die Akteure, selbst atemberaubend schnelle Umbauten. Im Kern könnte diese Produktion auch zu Lebzeiten des Komponisten entstanden sein. Der Versuch, das überfließende Füllhorn von Fos Ideen zu beschreiben, würde der Sache nicht gerecht. Zu vieles müsste man weglassen. Eine Sau nach der anderen treibt er über die Bühne, pardon: einen Esel nach dem anderen. Das ist bunt, grell, aber hoch konzentriert und immer nah am Stück - nie beliebiger Aktionismus. Und wo es unperfekt ist, ist selbst die Unperfektheit perfekt inszeniert. Trotzdem bestünde die Gefahr der Hyperaktivität, wäre all das Geschehen um den geizigen Don Bartolo, der sein cleveres Mündel Rosina (nicht nur) des Geldes wegen heiraten will, woran ihn letztlich der verliebte Graf Almaviva mit Hilfe des schlitzohrigen Barbiers Figaro unter Ausnutzung des geldgierigen Musiklehreres Basilio hindert - wäre all das nicht so phänomenal musikalisch inszeniert. Jede Bewegung, jedes Fuß-Stapfen, fliegende Drachen und flatternde Betttücher, schaukelnde Schönheiten, salutierende Soldaten und störrische Huftiere: Alles swingt im Takt Rossinis, atmet den Geist der Musik, tanzt seine Melodien. Weiß der Teufel, wie Saskia Boddeke, die Leiterin der Wiederaufnahme, das so hingekriegt hat, mit Choristen, Schauspielern und Tänzern, die Millimeterarbeit leisten und dabei spielerische Leichtigkeit derart überzeugend verkörpern, dass das Publikum allenthalben mithüpft und mitfiebert. Wer je behauptet hat, es sei schlicht unmöglich, zugleich toll zu singen und brillant zu spielen: Die Solisten dieser Inszenierung belehren ihn eines Besseren. Da wird Bewegung verlangt, Körpertheater, Rhythmus, ja sogar Artistik und Zauberei. Und trotzdem stimmen die Arien und Ensembles, funkeln die Koloraturen. Angelo Vecchio ist ein Figaro von fast heldischer Stimmfülle, kraftstrotzend, manchmal auch -protzend. Silvia Tro Santafé demonstriert als Rosina, warum sich große Häuser immer öfter der Dienste ihrer gewandten, von Schärfen freien Mezzo-Stimme versichern. Antonino Siragusa ist als Graf ein allürenfreier, höhensicherer Tenor, Donato di Stefano (Bartolo) und Giovanni Furlanetto (Basilio) demonstrieren frische Bass-Tiefe. Und alle spielen, dass einem das Herz aufgeht. Wer so viel "action" musikalisch derart pannenfrei zusammenhält wie an diesem Abend, verdient Extra-Lob. Da mögen beim Niederländischen Kammerorchester anfangs ein paar Unsauberkeiten bei den Streichern auftreten: Unterm Strich hat Dirigent Julian Reynolds seine vielköpfige Musiker- und Sängerschar prächtig im Griff. Es gibt übrigens, wie am Premierenabend zu hören war, für alle weiteren Vorstellungen (17., 19. und 21. Juni) noch Karten. Das könnte sich rasch ändern, wenn sich dieses Opern-Ereignis herumspricht. Wer es nicht versäumen will: Hotline 00352/4708951. Ab Juli muss man dafür nach Amsterdam fahren.

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