Gastbeitrag Als Beuys-Schüler Triers Kunstwelt auf den Kopf stellten
Trier · Vor 50 Jahren reiste Joseph Beuys mit seinen Schülern nach Trier und bescherte der Stadt einen handfesten Kunstskandal. Die Gruppe mauerte den Eingang des Städtischen Museums zu, schlug ein Loch in die ehrwürdige Außenmauer und nähte zwei Dutzend „Heilige Röcke“. Mit dabei: der damalige Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums Burkhard Freyberg. Hier sein Erinnerungsbericht.
Auch wenn das Geschehen nun 50 Jahre zurückliegt, hat die Aktion der Beuys-Schüler auch heute noch den Ruf einer Trierer Kulturrevolution, die nicht nur überregional Schlagzeilen generierte, sondern auch wochenlang die Diskussion in der Bevölkerung, überwiegend auf der Basis von Leserbriefen, dominierte. Dass der 68er Zeitgeist längst auch in Trier angekommen war, wurde wie in einem Brennglas durch diese Kunstaktion fokussiert.
Nachdem Johannes Stüttgen, einst selbst studentischer Teilnehmer der Eröffnungsveranstaltung am 25. April 1969 im Städtischen Museum Simeonstift, in dem Buch „Der Keilrahmen des Imi Knoebel 1968/89“ einen kurzen Abriss über den Verlauf der Aktion gegeben hatte (und auch in der Trierer VHS 2005 hierüber referierte), hat er in dem über 1000 Seiten umfassenden Werk über Beuys als Leiter der Kunstakademie „Der Ganze Riemen“ (Verlag Buchhandlung König, Köln 2008) ein ausführliches Kapitel mit vielen Bilddokumenten diesem Ereignis gewidmet. Ihm verdankt die Trierer Kunst- und Kulturhistorie eine detaillierte Beschreibung der Genese, des Ablaufs und der nachfolgenden öffentlichen Debatte zu der „Eröffnung mit Aktionen“, wie das Plakat zur Ausstellung dokumentiert.
Es machte sich zwar nur eine Klasse von Studenten einer Kunstakademie in die Domstadt auf, um ihren Kunstbegriff zu präsentieren, jedoch war dies nicht irgendeine Klasse, sondern die des zur damaligen Zeit wohl umstrittensten Künstlers und Hochschullehrers Joseph Beuys. Aus heutiger Sicht liest sich die Teilnehmerliste wie ein Who is who zeitgenössischer Kunstprominenz: Imí Knoebel, Jörg Immendorf, Anatol, Blinky Palermo, Katharina Sieverding, Norbert Tadeusz, Sigmar Polke, Hans Rogalla, Rainer Ruthenbeck.
Der damalige Museumsdirektor Dr. Curt Schweicher hatte die Klasse eingeladen, einen durchaus gewollten und spektakulären Kontrapunkt zum behäbigen Kunstleben der Stadt zu setzen, wohl auch motiviert durch die Tatsache, dass es zwar in Trier (noch) keine Universität mit studentischem Protestpotenzial, aber an den Gymnasien in den Oberstufen eine durchaus rebellische Generation von Schülern gab, der APO-Aktivismus und Demos nicht fremd war.
Interessanterweise war es diese APO, die die Aktion der Beuys-Klasse in einem Flugblatt als reaktionär attackierte, da Künstler allgemein ja nicht unmittelbar zum Klassenkampf beitrügen, und somit eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit für die Aktion provozierte. Zur Eröffnung erschienen Hunderte Neugierige, die natürlich besonders an der Person des „Documenta“-Teilnehmers Beuys interessiert waren. Selbst ein Fernsehteam des Südwestfunks war aus Mainz angereist.
Dass es bei einem solchen Andrang, ja Ansturm in einem relativ begrenzten Ausstellungsraum fast unmöglich war, eine reguläre Vernissage durchzuführen, war bald erkennbar. Die Aktionen „Vermauerung einer Zugangstür“ sowie der Versuch, mit Hammer und Meißel in die mittelalterliche Museumswand ein Loch zu schlagen und außerdem ein wassergefülltes Plastikbecken, dessen Inhalt sich beim ersten ungewollten Fehltritt eines Besuchers über den Boden ergoss, verstärkten den Eindruck, das Ganze sei ein Riesen-Happening, wie es wohl in Düsseldorf alle Tage und nun endlich auch in Trier stattfindet. Entsprechend locker und wenig museal war die Stimmung besonders unter den jungen Besuchern, die bald in der Überzahl waren, weil Triers Kunsttraditionalisten „mit Abscheu und Entsetzen“ den Aktionsort bereits verlassen hatten.
Eine Kunst-Aktion erregte in Trier naturgemäß besondere Aufmerksamkeit: „Hier wird der Heilige Rock um 25 Exemplare erweitert – Katarina, Imi + Imi“ stand auf einem großen Plakat an der Museumswand. Darunter war eine Nähmaschine platziert, an der Katarina Sieverding ca. 50 x 60 Zentimeter große Nachbildungen des Heiligen Rocks aus weißem Nessel nähte. Die Aktion, die sich Imi Knoebel und Imi Giese mit Sieverding ausgedacht hatten, war durchaus als lokale Provokation gedacht. Für 10 Mark konnten die Aktionsgäste ein Exemplar kaufen. Im Verlaufe des Abends soll es zu heftigem Streit zwischen den Initiatoren der Nähaktion und Beuys gekommen sein, da er wohl ein oder zwei Exemplare der genähten Nachbildungen, so Stüttgen in seinem Buch, signiert hatte.
Was jedoch bisher nicht beziehungsweise nur einem kleinen Kreis durch die alternative Tufa-Ausstellung zur Heilig-Rock-Wallfahrt 1996 bekannt wurde, ist die Tatsache, dass es sich nicht um eine Namenssignatur, sondern einen typisch Beuys’schen ironischen Kommentar zu der Trierer Reliquie handelt. Damals war das Exemplar im Kulturzentrum Tufa ausgestellt, das in folgender Weise den Bezug zu Josef Beuys hat: Er schraffierte die rechte Achsel mit einem Filzstift und fügte, mit einem Pfeil darauf hinweisend, das Wort „Fettecke“ hinzu, womit das Tunika-Objekt zum – unabgesprochenen – Gemeinschaftsprojekt von Sieveking, Knoebel, Giese und deren Professor Joseph Beuys avancierte.
Ein Abiturient eines Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums und Fan des Düsseldorfer Künstlers hatte das Exemplar in der Aktion direkt von Katharina Sieverding erworben und begab sich dann zu einem Diskussionskreis in der Mitte des Museums um Prof. Beuys, wo heftig über dessen Kunstbegriff debattiert wurde. In die Debatte wurde u. a. auch das Tuchobjekt und seine künstlerische Sinnhaftigkeit einbezogen, worauf Beuys kurzerhand mit einem Füller zur Tat schritt. Mit seiner Veränderung des genähten Exemplars durch die Titelung „Fettecke“ wolle er demonstrieren, dass Veränderung keine Aneignung bedeutet. Vermutlich gibt es ein solches Kunstobjekt mit „Fettecke“ nur einmal.
Für diesen Abiturienten gab es nach 49 Jahren mit der nun international renommierten „Dokumenta“-Künstlerin Katharina Sieverding auf der Kunstmesse „art Karlsruhe“ 2018 ein Wiedersehen. Während sie die extra für dieses Treffen kopierten zahlreichen Fotos aus der ihr bisher unbekannten damaligen Südwestfunk-Fernsehreportage studierte, konnte sie sich nicht nur an Einzelheiten dieses Happenings erinnern, sondern auch an die noch lange dauernde Leserbrief-Diskussion in Trier, die auch unter den Studenten in Düsseldorf weiterverfolgt wurde. Dabei kam ihr auch spontan in den Sinn, dass der Mut des damaligen Museumsdirektors Schweicher nicht folgenlos blieb.
Die Direktorin des Stadtmuseums Simeonstift hat vor einiger Zeit schriftlich bestätigt, das man gerne in den Besitz eines dieser „Heiligen Röcke“ kommen möchte, verkörpert der nicht nur einen Teil der Kunstgeschichte, sondern auch der Trierer Museumsgeschichte. Wie viele der damals im Museum hergestellten Objekte existieren, ist nicht bekannt. Bei artnet, der internationalen Onlinedatenbank aller zum Verkauf gelangten Kunstwerke über Auktionshäuser weltweit, ist zumindest ein solches Objekt als verkauft gelistet, immerhin mit einem Schätzwert zwischen 20 000 und 30 000 Euro.