Als stünde die Zeit still

Skepsis wäre angebracht gewesen angesichts Gustav Mahlers Dritter zum 90-jährigen Bestehen der Trierer Philharmoniker. Und dann diese Interpretation mit ihrer Energie, Vielfalt und Tiefe!

Trier. Ja, auch die gab es im 4. Sinfoniekonzert zum 90-jährigen Bestehen des Trierer Philharmonischen Orchesters - die undeutlichen, die schwankenden Momente. Den nostalgisch-höfischen Tonfall im zweiten Satz von Gustav Mahlers Dritter zu treffen gelang dem massiv verstärkten Streicherkörper des Orchesters und Dirigent Victor Puhl nicht. Und bewegte sich der Beginn des sechsten Satzes nicht in gefährlicher Nähe zu reflexionsloser Wohlfühlmusik?

Aber die Philharmoniker und ihr Leiter dementieren solche Anklänge alsbald. Auch in diesem abschließenden Adagio musizieren sie schlank, beweglich, feinfühlig und ohne fatale Vorliebe für "schöne Stellen". Puhl und das Orchester verfügen nicht nur über alle technischen Fähigkeiten, sondern auch über den ruhigen Atem, der die Wärme, Fülle und Größe dieses herrlichen Satzes vermittelt. Und der abschließende Höhepunkt, nach dem perfekten Piano-Einsatz des Trompetenchors, er gerät nicht hektisch überredend, sondern befreiend weit und mit vollendeter Räumlichkeit. Welcher Saal wäre dafür geeigneter als St. Maximin? Die Zuhörer in der fast voll besetzten ehemaligen Abteikirche waren tief berührt.

Ergreifend und am Ende erschreckend



Die 3. Sinfonie gehört in ihrer Kombination höchst gegensätzlicher, scheinbar unvereinbarer Elemente zum Schwierigsten in Mahlers Sinfonik. Puhl und sein Orchester suchten nicht den bequemen, nivellierenden Mittelweg, sie arbeiteten die Strukturen und die Klang- und Ausdruckscharaktere präzise und ungeschönt heraus. Dem Beginn des Kopfsatzes geben sie einen dumpf-fahlen Trauermarsch-Beiklang und dem Mittelteil die Schärfe eines grell-verfremdenden, expressionistischen Maskenspiels. Welch seherische Bedeutungsfülle entfaltet der vierte Satz mit der Nietzsche-Vertonung, die mit der Altistin Isabell Henriquez und ihrer weichen, runden Tongebung ideal besetzt ist! Und als Kontrast zu Nietzsches Reflexion über die Lust, die Ewigkeit will, danach die kunstvolle Naivität des "Wunderhorn"-Textes. Theater- und Extrachor, Damen des Spee-Chors und der Chor des Trier er Angela-Merici-Gymnasiums glänzen mit Klangfülle und Beweglichkeit und sind trotz der enormen Entfernung zum Dirigenten immer auf dem Punkt.

Zum Ergreifendsten und am Ende Erschreckendsten in diesem reichen Konzert gehörte der dritte Satz. Die Holzbläser und Petar Entchevs makelloses Violinsolo zaubern ein Klang-Aquarell von zartester Idyllik. Aus einem Nebenraum tönt das wunderschön geblasene Posthorn. Eine ferne, scheue Erinnerung an Vergangenheit und frühes Glück - träumerisch und gegenwartsverloren. Naturlaut und mystische Versenkung begegnen einander. Es klingt, als würde die Zeit stillstehen.

Welch trügerische Harmonie! Gegen Ende des Satzes bäumt sich das Orchester in einem bestürzenden Fortissimo auf. Das katastrophale Ende einer glücklichen Episode.

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