Als wir die Griechen noch liebten

Deutschland ist der Musterschüler Europas. Sind wir deshalb so hart in unserem Urteil über andere Länder? Das war mal anders. Eine Rückschau auf eine Zeit, als die Bundesbürger musikalisch die große weite Welt entdeckten.

Der Mann war eine Zumutung für jeden braven Bürger. Ein fetter Hippie, der selbstvergessen lächelte. Die braven Bürger aber - jene, die allmonatlich die ZDF-Hitparade verfolgten - liebten ihn. Sie machten "Goodbye, my love, goodbye" zur erfolgreichsten Single des Jahres 1973 und Demis Roussos zum Superstar.
Es gab damals viele Demis Roussose. Denn der deutsche Schlager war seit den 50ern fest in der Hand von Ausländern. Da gab es die Italienerin Caterina Valente, den Amerikaner Gus Backus, die Dänin Gitte, den Afrokubaner Roberto Blanco, den Südafrikaner Howard Carpendale, die Israelin Daliah Lavi und und und.
Schlagersänger als Weltbürger


Wobei die Herkunft für die im Lied erzählte Geschichte keine Rolle spielte. Der Schlagersänger war per se Weltbürger. Die Französin Mireille Mathieu erfuhr die Liebe in Griechenland ("Akropolis adieu"), der Grieche Costa Cordalis hingegen in Mexiko ("Anita").
Natürlich waren solche gesun-genen Urlaubsabenteuer Folklore, so "authentisch" wie Toast Hawaii. Doch für ein Volk, das nur wenige Jahre zuvor versucht hatte, der Welt das deutsche Wesen aufzuzwingen, waren diese musikalischen Trips eine kulturelle Leistung. Man war bereit, sich auf fremde Länder einzulassen - und das ohne Unterstützung von Panzerverbänden und Fliegerstaffeln.
Fernweh wurde zum Grundgefühl einer ganzen Nation. Im Wirtschaftswunderland zählten Arbeit, Geld und Status, aber anderswo - so glaubten die Deutschen - fand das schöne, das wahre Leben statt. Man sehnte sich nach der Hauptstadt des einstigen Erbfeinds ("Ganz Paris träumt von der Liebe"), nach Italien ("Capri-Fischer") und dem Nahen Osten. Das Morgenland galt damals nicht als Brutstätte für Fundamentalisten, sondern als Kulisse für Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Das ging so weit, dass Fernsehkoch Clemens Wilmenrod ein selbstkreiertes Hackfleischgericht als "Arabisches Reiterfleisch" präsentierte und so die Fantasien der Zuschauer befeuerte.
Doch auf Dauer war die Wirklichkeit stärker. In dem Maß, in dem internationaler Tourismus und Terrorismus wuchsen, verlor die Ferne ihren Glanz, ihre Magie. Sie wurde gewöhnlich. Binnen weniger Jahre drehte sich das Image einstiger Sehnsuchtsregionen um 180 Grad.
Spätestens in den 80ern erschienen viele fremde Länder und die dort lebenden Menschen als Bedrohung oder Ärgernis. Niemand mochte mehr Liedern lauschen, die von exotischen Liebschaften handelten.
An die Stelle ausländischer Schlagersänger traten Deutschrocker. Diese erhoben die Abkehr von der großen weiten Welt zum Programm. Der Rückzug in den heimischen Kiez galt nun nicht mehr als Zeichen von Provinzialität, sondern als Ausdruck neuen Selbstbewusstseins. Udo Lindenberg schwärmte von der Reeperbahn, Grönemeyer besang die herbe Schönheit Bochums, und die Toten Hosen betonten bei jeder Gelegenheit, wie sehr ihnen Düsseldorf und die Fortuna am Herzen liegen.
Verständnisloses Kopfschütteln


Was dabei übersehen wurde: Lokalpatriotismus ist auch Pa-triotismus. Mit dem Stolz auf die eigene Heimat wächst vielfach die Geringschätzung fremder Kulturen. Wir bilden uns viel ein auf unsere gepflegten Multikulti-Städte mit ihren internationalen Restaurants und Läden, doch wir blicken herab auf "die fanatischen Araber", "die dummen Amis" und sogar auf unsere europäischen Partner. Verständnislos schütteln wir den Kopf über das Wahlverhalten der Ungarn, die Arbeitsmoral der Franzosen und die Korruption der Italiener. Dieser Hochmut verbindet Linke, die gegen "politisch verblödete" Amerikaner wettern, mit Rechten, die Türken, Kurden, Araber und Perser in einen Topf werfen.
Den Rest erledigt die Boulevardpresse. Spätestens, wenn Bild gegen die "Abzock-Griechen" hetzt, wünscht man sich ins Jahr 1973 zurück. Damals, als die Freude und Lebenslust eines Mannes, der von innen heraus strahlte, die Deutschen verzauberte. Der Mann hieß Demis Roussos. Er war Grieche.

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