Spurensuche Alte Schnipsel neu aufbereitet

Trier · Die Stadtbibliothek in Trier macht Hunderte Handschriften-Fragmente aus dem Mittelalter für heutige Nutzer zugänglich – haptisch und digital.

 Restauratorin Eva Bös zeigt alte Noten-Handschriften aus der Stadtbibliothek, die sie gerahmt und modern konserviert hat.

Restauratorin Eva Bös zeigt alte Noten-Handschriften aus der Stadtbibliothek, die sie gerahmt und modern konserviert hat.

Foto: TV/Anne Heucher

Recycling ist keine Erfindung moderner Umweltschützer. Unsere Vorfahren waren Weltmeister im Wiederverwerten von Schriftstücken. Das hing im Mittelalter auch damit zusammen, dass der Beschreibstoff Tierhaut (Pergament) nicht  so einfach zu beschaffen war, und Papier gab’s noch nicht. Wenn also ein Schriftstück nicht mehr benötigt wurde, dann taugte es immer noch als Verstärkung für ein anderes Buch, etwa als Einband. Buchbindereien kauften das Material auf, zerschnitten es in viele Kleinstteile und machten daraus neue Codices.

Was nun, wenn das zerschnittene Werk unter heutigen Gesichtspunkten wertvoll war? Wenn man weiß, dass es eine historisch bedeutsame Quelle wäre? Dann geht das Puzzlen los. Wobei die einzelnen Teile vor dem Zusammenfügen erst mal gefunden werden müssen. „Wir haben in der Stadtbibliothek etwa 2000 bis 2500 Fragmente“, sagt Bibliotheksleiter Prof. Michael Embach. Vergangene Bibliothekars-Generationen haben mühsam den Gesamtbestand auf die Existenz solcher Handschriftenfragmente abgesucht und dabei öfters auch besonders wertvoll erscheinende Stücke herausgeschnitten. So kamen Hunderte Kleinstteile von alten Handschriften zusammen, die man in (säurehaltigen) Umschlägen verstaute, damit sie eines fernen Tages mit anderen Schnipseln zusammengefügt werden können. Kaum einer wusste folglich, was in den Tiefen der Kisten voller Umschläge so alles schlummerte. Derweil wanderten Kleber, Weichmacher und Papiersäure ins Material.

Diese fernen Tage sind in der Stadtbibliothek mittlerweile angebrochen. Die Fragmente sollen den  Nutzern und potenziellen Puzzlespielern in einem neuartigen, aufwendigen Verfahren zugänglich gemacht werden. „Ein Objekt in einer Bibliothek existiert quasi nicht, wenn es nicht möglich ist, darauf zuzugreifen“, erläutert Restauratorin Eva Bös, die für die Buchbinderei Mohr in Trier arbeitet. Rund 500 Fragmententeile von alten Handschriften hat sie, teilweise zusammen mit einer Kollegin, innerhalb von zwei Jahren schon so aufbereitet, dass man die Puzzleteile auffinden und nutzen kann. Oberstes Ziel sei es von Anfang an gewesen, die Fragmente einerseits vor Berührung und Beschädigung zu schützen, andererseits sie als Einzelteile flexibel nutzbar zu machen, um auch ein Aneinanderlegen und Vergleichen zu ermöglichen. Inspiration holten sich die Akteure in Florenz und auch beim englischen Restaurator Christopher Clarkson, bevor sie ihr eigene Methode entwickelten. Die Lösung für Trier: ein Klapprahmen mit Folienfenstern auf beiden Seiten, Klettverschluss an den Seiten und ein Rahmen aus Wellpappe.

„Das ist jetzt zum ersten Mal eine Lösung mit Materialien, die absolut altersbeständig sind und den Normen entsprechen“, freut sich Embach. Pro Signatur entstanden Kosten von durchschnittlich 60 Euro, an denen sich auch die Freunde und Förderer der Stadtbibliothek Trier beteiligten. Unterstützung kommt auch von Paten, die für 60 Euro eine Handschriften-Signatur übernehmen.

Hunderte Fragmente sind mittlerweile nicht nur konserviert, sondern auch digitalisiert – eine Voraussetzung dafür, dass andere Puzzlespieler die Teile überhaupt sehen können. Und dann bemerken, dass vielleicht etwas zusammenpasst, was vor Jahrhunderten getrennt wurde.

 Das alte Pergament müssen Nutzer nicht anfassen, wenn sie die Handschrift in Augenschein nehmen.

Das alte Pergament müssen Nutzer nicht anfassen, wenn sie die Handschrift in Augenschein nehmen.

Foto: TV/Anne Heucher

Weitere Informationen auf www.trierer-buecher.de

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