Kultur Als wäre die Welt anders geworden

Trier · Anfangs irritierend und dann sehr überzeugend: Mozarts „Don Giovanni“ begeistert das Trierer Theaterpublikum.

 Der Trierer „Don Giovanni“ kam beim Publikum gut an.

Der Trierer „Don Giovanni“ kam beim Publikum gut an.

Foto: Theater Trier

Sie erhoben sich respektvoll von den Plätzen. Sie jubelten. Sie demonstrierten applaudierend eine enorme Ausdauer – nicht nur im beifallsträchtigen Hochparkett, sondern im ganzen, ausverkauften Theater. Der Trierer „Don Giovanni“ schlug ein beim Publikum. Und auf der Bühne strahlten die Akteure, an ihrer Spitze Dirigent Jochem Hochstenbach und Regisseur Jean-Claude Berutti, genau den Stolz und die Erleichterung aus, die zu einer gelungenen Premiere gehören.

Dabei hätte es anfangs gute Gründe gegeben für gegenteilige Bekundungen. Als sich nach der prägnant und sauber, aber auch eher kantig musizierten Ouvertüre der Vorhang hob, präsentierte sich ein Bühnenbild (Rudy Sabounghi), das kaum mehr ist als eine schlechte Caspar David Friedrich-Kopie. Von oben scheint der Mond durchs winterlich kahle Geäst. Leporello und seine Kumpane haben sich sozialromantisch in Lumpen (Kostüme: Katharina Heistinger) verpackt. Natürlich darf bei Don Giovanni und Donna Anna der Koitus nicht fehlen. Der findet in der Postkutsche statt und lässt dabei die Frage offen, wieso Donna Anna bei der intimen Zweisamkeit Don Giovannis Betrug nicht unmittelbar erkennt.

Aber gemach! Jean-Claude Beruttis Trierer „Don Giovanni‘“ gehört zu den Inszenierungen, die sich nicht spontan öffnen, die Fragen aufwerfen ohne gleich Antworten zu geben, die erst befremden, und dann doch überzeugen. So problematisch das Bühnenbild auch ästhetisch sein mag – dramaturgisch ist es so angelegt, dass sich neue Szenen mit wenigen Handgriffen arrangieren lassen. Das gibt dem Ablauf Tempo und Stringenz.

In Trier präsentiert sich der Giovanni in Kostüm und Darstellung unauffällig. Und mit ihm entwickelt sich die Opernhandlung fast unter der Hand zum Gesellschaftsstück, zu einem Netz individueller Beziehungen. Da geht es um sozialen Aufstieg, um persönliche Konflikte, um die Konfrontation von abwägender Ratio und spontanem Gefühlsausbruch, um seelische Verletzungen und um weiblichen Geschlechterstolz. Am Ende, nach dem herrlichen Sextett, gehen sie auseinander, jeweils in ihre Richtung. Auf der gesamten Bühne und im Auditorium leuchten die Lichter auf, und alle Akteure signalisieren: Das Spiel ist zu Ende. Er hat etwas Befreiendes, dieser Abschluss.  Er geleitet zurück aus der Fiktion in die Wirklichkeit.

Dass ein kleines Theater wie das in Trier es geschafft hat, die so vielschichtigen und so individuellen Gesangspartien angemessen und regiekonform zu besetzen, ist ein kleines Wunder. Carl Rumstadt gelingt das Kunststück, dem Don Giovanni sängerische Sicherheit mitzugeben, ohne selbstherrlich aufzutrumpfen. Marc Kugels Leporello glänzt mit Markanz und einem subtil ironischen Zug. Karsten Schröders Komtur wandelt sich, freilich vom Lautsprecher unterstützt, überzeugend vom cholerischen Alten zum überirdischen Rächer. Blaise Rantosninas Ottavio, der vorsichtige, sehr rationale und dabei einfühlsame Liebhaber, wächst mit seinen großen, sehr gefühlsbewusst gesungenen  Arien („Dalla sua pace“, „Il mio tesoro“) mehr und mehr in seine Rolle herein. Im Masetto von Matthias Bein bleibt die Wut hörbar, die ihn befällt bei Giovannis Avancen und Zerlinas Nachgiebigkeit. Einat Aronstein gibt der Zerlina sängerische Beweglichkeit mit. Mehr noch: Bei ihr wird die Figur zur entschiedenen, verantwortungsbewussten Frau. Und dann Donna Anna und Donna Elvira – diese scheinbar verwandten und doch so unterschiedlichen Figuren. Da ist es in der Besetzung und der musikalisch-szenischen Arbeit gelungen, die Frauengestalten voneinander abzuheben: stolz, verletzt und verstört Donna Anna, liebend, trauernd, hoffend, warnend Donna Elvira. Eva Maria Amman entwickelt in Gesang und Darstellung Stück für Stück die subtile Emotionalität der Anna. Und Réka Kristóf vermittelt in der Stimmfarbe genau dieses Aufgeregte, fast Hysterische der Elvira. Beim einzigen Bühnenumbau (zur Friedhofsszene im zweiten Akt) steht sie vor dem Vorhang. Und beklagt in der „Mi tradito“-Arie die Untreue Giovannis mit bewegender Gefühlskraft.

Für Jochem Hochstenbach ist der „Don Giovanni“ die erste Produktion als Trierer Generalmusikdirektor. In seinem Dirigat bleibt auch bei der heiklen Mozart-Partitur nichts zufällig und nichts beliebig. Das Orchester glänzt mit Eindeutigkeit und Markanz. Gelegentlich freilich fehlt dieser Interpretation das Fließende und Singende in Mozarts großer Musik. Aber wenn im zweiten Akt bei Giovanni und Leporello Streit aufflammt und wieder erlischt und dann Elvira wie aus der  Ferne ihren trauernden Gesang anstimmt – dann entwickeln Orchester und Dirigent eine eindringliche Spannweite zwischen Brillanz und emotionaler Wärme. Und die beiden Final-Szenen: Was sind das für intensiv und präzise geprobte Glanzstücke! Wie viel Arbeit, wie viel Energie und persönlichen Einsatz haben die Solisten, der Chor und die Trierer Philharmoniker an diese Musik gesetzt! Die heftig applaudierenden Besucher müssen all das gespürt haben. Vielleicht ist nach einer guten Theatervorstellung tatsächlich die Welt ein wenig anders geworden.

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