Applaus und Jubel: Trierer feiern Uraufführung von Klassiker als Punkrockspektakel

Trier · Es ist ein gewagtes wie ambitioniertes Experiment, das sich Gerhard Weber zum Abschluss seiner Zeit als Intendant des Trierer Theaters vorgenommen hat: den Shakespeare-Klassiker als Punkrockspektakel auf die Bühne zu bringen. „Othello reloaded“ kam gut an beim Trierer Publikum, die 480 Zuschauer begrüßten die Tragödie im futuristischen Gewand mit begeistertem Applaus und lautem Jubel.

Applaus und Jubel: Trierer feiern Uraufführung von Klassiker als Punkrockspektakel
Foto: Friedemann Vetter

Furchtbare Schreie durchbrechen die Stille. Andrea M. Pagani torkelt, unartikulierte Laute ausstoßend, durch die Halle 6 auf dem Bobinet-Gelände. Der irre Blick, die fratzenhafte Grimasse - der Mann muss verrückt sein. Wie ein Affe trommelt er auf seine Brust, brüllt. Der gefeierte Bomberpilot und General Othello, den Pagani mimt, ist besiegt, durch ein Gefühl: Eifersucht.

Othello ist die einzige männliche Figur in der Inszenierung des Shakespeare-Klassikers von Theaterintendant Gerhard Weber, die zu echtem Gefühl fähig ist. Er, den die anderen wegen seiner dunklen Hautfarbe und den Tattoos zum Außenseiter stempeln, liebt aufrichtig.

Ins Jahr 2040 katapultiert

"Othello reloaded" basiert auf dem klassischen Stoff. Die Sprechtexte sind original Shakespeare (Übersetzung Frank Günther). Die Musik komponierten Sven Sorring, der sowohl den Jago gibt als auch die Songtexte schrieb, und der musikalische Leiter Gerald Landschützer, der mit seiner Band CowGaroo live spielt. Weber hat dem Werk jede Menge Power verliehen. Er hat die Tragödie aus der Vergangenheit ins Jahr 2040 und von einem See in einen Flughafen, in einen Hangar auf einem Luftwaffenstützpunkt im Südpazifik, katapultiert. Die Akteure spielen zu Füßen des Publikums auf bloßem Estrich.

Riesige Flugzeugflügel, viel Beton und Metall erwecken den Eindruck, auf einer Air-Base zu sein. Flugzeugsitze bilden die Komandozentrale. Die Tragflächen sind nicht nur Deko, sondern auch Spielfläche (Bühnenbild Peter Müller, Mike Grünwald).

Das Martialische wird durch die Kostüme (Alexandra Bentele) verstärkt. Das Outfit der Männer, eine Mischung aus Militär- und Science-Fiction-Rüstung, hätte futuristischer, abgedrehter ausfallen können, erinnert es doch zu stark an Star Trek.

Die Damen haben sich bei Weber ihrer reinen Opferrolle entledigt und sind selbstbewusste Karrierefrauen. Emilia - Sabine Brandauer mit Kurzhaarfrisur und Businesskostüm - ist die Beraterin von Modedesignerin und Othello-Gattin Desdemona (Nadine Eisenhardt). Deren Metallperücke erinnert an Kleopatra. Und es gibt durchaus Parallelen, verführt sie doch ebenfalls einen erfolgreichen Feldherrn, wird erst hoch verehrt, dann als Hure verschmäht. Die extravaganten Kleider in blau und weiß verdeutlichen ihre Reinheit und Unschuld in dem Eifersuchtsdrama.

Schon in der Ouvertüre wird deutlich, worum es geht, um Herrschaft und Einfluss: "Schlachtet die Feinde ab! Trinkt ihr Blut! Wir haben die Macht! Wir sind Gott!" ("We are God"). Das Tanzensemble jubelt als Cheerleader ihren militärischen Helden zu. Harte Gitarrenriffs, treibendes Schlagzeug - ein unbequemer Sound, erbarmungslos wie die Geschichte selbst. Eingängige Songs passen nicht zu dieser Story. Selbst die sanfteren Popstücke der Frauen enden in rockig. Nicht jedem der 480 Zuschauer gefällt das. Denn die Musik ist sperrig, oft wechselt das Tempo, der Stil, die Tonart. Das verlangt den Sängern einiges ab, nicht zuletzt auch durch die Wahl der Location. Doch der Sound ist auf allen Plätzen gut, die Tontechniker um Stefan Kaindl haben ganze Arbeit geleistet.

Die Darsteller überzeugen gesanglich wie schauspielerisch - was die 480 Zuschauer in der ausverkauften Halle mit lautem Beifall und Jubelrufen belohnen. Pagani verfügt nicht nur über eine gewaltige, aber auch gefühlvolle Stimme, er hat auch darstellerisch was drauf: Seine prägnante Mimik zieht einen in seinen Bann. Eisenhardt behauptet sich gegen Vater - ein glänzend aufgelegter Klaus-Michael Nix als Veteran Brabantio - und Mann. Ihre Duette mit Brandauer bestechen durch Harmonie.

Sorring gibt einen köstlich bitterbösen Jago mit starker Stimme. Sein eiskaltes Lachen lässt einem einen Schauder über den Rücken fahren. Jan Schuba brilliert als Cassio, Othellos Adjudant und PR-Mann, beim Song "Fly with me" - durchaus mit Ohrwurm-Potenzial. Er torkelt, verdreht die Augen, lallt, als würde er tatsächlich unter Drogen stehen. Und auch Daniel Kröhnert (Roderigo) und Friederike Majerczyk (Bianca) überzeugen gesanglich.
Weber hätte sich seinen Abschied aus Trier einfacher machen können. Er ist volles Risiko gegangen - und wurde von einem glänzend aufgelegten Ensemble belohnt.

Weitere Termine: 27., 28., 30. Juni, 1., 10., 11. Juli, Bobinet Quartier in Trier, Halle 6.

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