(Archiv) Nicaraguanische Autorin Belli entwirft „Die Republik der Frauen“

Während der Revolution in Nicaragua gehörte die Schriftstellerin Gioconda Belli der geheimen Frauengruppe „Partei der Erotischen Linken“ an. Wie wäre es gewesen, wenn sie die Wahl gewonnen hätten? 30 Jahre später hat Belli diesen Wunschtraum aufgeschrieben.

 ARCHIV - Die nicaraguanische Dichterin Gioconda Bellistellt am 29.09.2012 in Buenos Aires, Argentinien, ein Buch vor. Während der Revolution in Nicaragua gehörte die Schriftstellerin der geheimen Frauengruppe „Partei der Erotischen Linken“ an.

ARCHIV - Die nicaraguanische Dichterin Gioconda Bellistellt am 29.09.2012 in Buenos Aires, Argentinien, ein Buch vor. Während der Revolution in Nicaragua gehörte die Schriftstellerin der geheimen Frauengruppe „Partei der Erotischen Linken“ an.

Foto: Cezaro De Luca (EFE)

Beitrag aus 2012

Viviana Sansón ist eine echte Power-Frau. Als Fernsehmoderatorin deckt sie Skandale auf, fliegt um die Welt, kümmert sich liebevoll alleinerziehend um ihre Tochter - und dann gewinnt sie an der Spitze einer Frauen-Partei auch noch die Wahl und wird Präsidentin. Dazu sieht sie natürlich blendend aus: „Der braune, muskulöse Körper einer Schwimmerin, die dichten schwarzen Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen (...) und das schmale Gesicht ihrer Mutter, mit feinen Zügen, großen, schwarzen Augen und einem breiten Mund mit sinnlichen Lippen.“

Aber gleich zu Anfang des Buches geschieht etwas Schreckliches: Sansón wird niedergeschossen. Im Koma findet sie sich in einem Raum wieder mit allen Dingen, die sie jemals verloren hat, und die Episoden ihres Lebens vor ihren Augen ablaufen lassen. Die vielfach preisgekrönte nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli erzählt Sansóns Geschichte ab jetzt aus zwei Perspektiven: Sansóns eigener und der ihrer Freunde und Wegbegleiter, die hoffend an ihrem Krankenbett ausharren.

Zum Zeitpunkt des Attentats ist Sansón auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Gerade hat sie mit der von ihr und einer Gruppe Freundinnen gegründeten „Partei der Erotischen Linken“ (PIE) die Wahl gewonnen und ist Präsidentin des Fantasie-Staates Faguas geworden - der „Republik der Frauen“, wie Belli ihren Roman genannt hat. Die PIE besteht nur aus Frauen und will das Land mit rein-weiblichen Methoden auf Vordermann bringen: „Ich habe eine Partei im Kopf, die sich vornimmt, dem Land das zu geben, was eine Mutter ihrem Kind gibt, es in Ordnung hält, wie eine Frau ihr Haus in Ordnung hält“, erklärt Sansón.

Denn Faguas geht es schlecht. Das Land ist der PIE zufolge „auf halbem Wege zwischen dem Mittelalter und der Moderne steckengeblieben“ und seine Mentalität „ist die einer abhängigen missbrauchten Frau“. Da PIE auf Spanisch Fuß bedeutet, entwirft sich die Partei eine Fahne mit dem Umriss eines weiblichen Fußes mit rot lackierten Nägeln darauf. Damit ziehen sie durch Dörfer und Städte, malen Frauen die Nägel rot an, versprechen Kindergärten, kostenloses Wasser und den Kampf gegen das Abtreibungsverbot.

Die Wahl gewinnt die PIE schließlich aber nur durch einen Vulkanausbruch, der den Testosteronspiegel aller Männer in Faguas drastisch senkt. „Laborversuche zeigten, dass die Gase des Vulkans verantwortlich für diesen Effekt waren, der Faguas unerwartet mit einer bisher nie gekannten männlichen Sanftmut segnete.“

Nach der Wahl krempelt die PIE das Land um. Manches findet großen Anklang in der Bevölkerung, zum Beispiel die Pflicht, Lesen und Schreiben zu lernen, der Anbau von Blumen zur Wirtschaftsförderung und das neue Studienfach „Mutterschaft“. In anderen Bereichen erntet die PIE scharfe Kritik: Alle Männer im öffentlichen Dienst werden für sechs Monate nach Hause geschickt und durch Frauen ersetzt, Vergewaltiger werden auf öffentlichen Plätzen in Zellen ausgestellt und bekommen ein kleines „V“ auf die Stirn tätowiert.

Es braucht nicht viel Fantasie, um herauszufinden, dass Faguas, das Land der „hohen, feuerspeienden Berge“, Nicaragua nachempfunden ist, Bellis Heimat. Bereits in ihrem Welterfolg „Bewohnte Frau“ benutzte sie das Pseudonym für ihr Land. Die Schriftstellerin selbst gehörte während der Revolution in dem mittelamerikanischen Staat in den 1980er Jahren einer geheimen „Partei der Erotischen Linken“ an. „Die Gruppe existierte über mehrere Jahre und war eine Erfahrung in Kameradschaft und Kreativität, die uns alle bereicherte“, schreibt Belli in ihrer Danksagung im Buch.

Wahlen gewann die echte PIE natürlich nie. Aber Belli nutzt die Möglichkeit der Fiktion, um diese Wunschträume mit der ihr eigenen Lust an Fantasie und Ausschmückung aufzuschreiben. Sich selbst lässt sie auch einfließen: PIE-Mitglieder tragen gerne T-Shirts mit ihrem Vers „„Ich segne mein Geschlecht“. Und dass trotz aller Fiktion auch Ernst hinter der „Republik der Frauen“ steckt, erklärt Belli im Interview mit dem Droemer-Verlag: „Die Ideen in meinem Roman sind einfach gesunder Menschenverstand. Ich bin erstaunt, dass wir Frauen sie noch nicht in die Tat umgesetzt haben.“

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