„Auch im größten Unglück anständig“ - TV-Interview mit Biograf André Uzulis: Warum Fallada heute noch aktuell ist

Trier · Schon bevor der Boom des letzten Romans „Jeder stirbt für sich allein“ Deutschland erreichte, hat André Uzulis mit der Arbeit an der neuen Biografie über Hans Fallada begonnen. Sieben Jahre dauerte sie. Seit 2012 arbeitet er in Trier. Zum Auftakt seiner Lesereise sprach er mit TV-Redakteurin Anne Heucher.

Herr Uzulis, es gibt über Hans Fallada schon 5 Biographien. Warum nun eine sechste?
André Uzulis: Weil seit der letzten 15 Jahre vergangen sind und weil natürlich die Forschung vorangeschritten ist. Es hat in den zurückliegenden Jahren Briefeditionen gegeben, außerdem eine Untersuchung über die Krankengeschichte Falladas und etliche Einzeluntersuchungen. Und man findet auch im Archiv immer etwas Neues.

Was ist das Neue?
Uzulis: Es sind Details. Dieses Leben kann nicht komplett neu erzählt werden, aber es kommen Pinselstriche hinzu. Da ist zum Beispiel der sogenannte Jenaer Lebenslauf, den man erst vor kurzem publiziert hat - das erste autobiographische Zeugnis Falladas überhaupt - und etliche neue Dokumente aus dem Fallada-Archiv, die diesen Lebenslauf nochmals ergänzen. Neu und nicht ganz unbedeutend ist die Liebesgeschichte mit Marianne Portisch im Dritten Reich, die bislang so überhaupt noch nicht in einer Fallada-Biografie berücksichtigt worden ist.

A propos Rolle im Dritten Reich. Fallada ist angefeindet worden dafür, dass er nicht emigriert ist. Wie war seine Rolle im Dritten Reich?
Uzulis:
Die war ambivalent. Er hatte überlegt zu emigrieren, aber er konnte sich nicht vorstellen, in einem anderen Land zu leben, in einer fremdem Sprache zu schreiben. Er war ja insgesamt in seinem Leben nur zweimal im Ausland. Es lag für ihn außerhalb seiner Vorstellung, auf Dauer wegzugehen. Aber Fallada war auch kein Nationalsozialist. Er hat versucht, diese Zeit auszusitzen. Dabei musste er Konzessionen machen, die ihm sehr schwer fielen und die ihm später auch leid taten. Er war weder ein Widerstandskämpfer noch war er ein wirklicher Mitläufer, eher etwas dazwischen.

Sie sprachen vom Opportunisten.
Uzulis:
Auch das. Er hat sich angebiedert, weil er ja auch wirtschaftlich überleben musste. Seine Bücher durften auf keinen Fall verboten werden, das wäre sein wirtschaftliches Aus gewesen. Auch später bei den Sowjets in den zwei Jahren nach dem Krieg hat er in Ost-Berlin einen Weg gewählt, den man durchaus kritisch betrachten muss.

"Jeder stirbt für sich allein" ist 60 Jahre nach Erscheinen ein Welterfolg geworden. Wie erklären Sie sich diesen späten Boom?
Uzulis:
Der Welterfolg kam aus Amerika, wo der Roman durch einen rührigen, an deutscher Literatur interessierten Verleger wiederentdeckt wurde. Er sagte sich: das ist das Buch, in dem der Nationalsozialismus zum ersten Mal nach dem Krieg kritisch betrachtet wird. Ein Buch, das den modernen amerikanischen Leser immer noch anspricht. Aus diesem Hype in Amerika schwappte die Welle dann zurück nach Deutschland.

Sein Todestag ist 70 Jahre her. Warum sollen heutige Leser zur Fallada-Lektüre greifen?
Uzulis:
Weil Fallada immer noch aktuell ist. Er ist der Autor in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, der sich dem Mann auf der Straße zugewandt hat. Diesen kleinen Mann, der auch im größten Unglück noch anständig bleibt, den gibt es selbstverständlich heute auch noch. Und insofern haben Falladas Figuren ein hohes Identifikationspotenzial. Das macht die Fallada-Lektüre so ungemein aktuell.

Sie sind Kommunikationsdirektor des Bistums Trier. Sind Sie in der Funktion nicht ausgelastet, dass Sie ein solches Mammutprojekt in Angriff nehmen?
Uzulis:
(lacht) Das Projekt ist über sieben Jahre entstanden. Es ist lange, bevor ich nach Trier gekommen bin, losgegangen. Ich habe das letzte Dreivierteljahr genutzt, um intensiv in meiner Freizeit, am Wochenende und im Urlaub daran zu arbeiten. Es war eine sehr extensive Arbeit, vor allem die Archiv-Arbeit hat sich jahrelang hingezogen - zu einer Zeit, als ich noch Chefredakteur des Nordkurier in Neubrandenburg war.

Was bedeutet Ihnen Hans Fallada?
Uzulis:
Ganz viel. Wenn man sich als Biograph mit solch einem Leben, mit solch einer Figur beschäftigt, dann wird diese Figur plastisch. In meiner Familie haben wir oft über Fallada gesprochen, meine Frau und meine Kinder. Wir hatten zum Schluss das Gefühl, er gehört schon fast dazu. Er kommt einem auf geradezu unheimliche Weise nah, obwohl er schon seit 70 Jahren tot ist.

Sie stellen der Biographie ein Kapitel über das selbstmörderische Scheinduell des Autors voran. Warum haben Sie das so gemacht?
Uzulis:
Biographien fangen ja normalerweise mit der Geburt an und hören mit dem Tod auf. Ich fand dieses Erlebnis am Uhufelsen mit dem inszenierten Doppelselbstmord des 18-jährigen Fallada und eines Freundes paradigmatisch. Wenn man diese Szene gelesen hat und weiß, was in diesem jungen Menschen vorgegangen ist, dann versteht man auch die Kindheit und Jugend besser, die ich danach schildere. Ich werfe den Leser sozusagen mitten in das Leben Falladas hinein.

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