Auf dem Weg zu den Verdi-Heroen

TRIER. Wenn am Samstag im Trierer Theater der Vorhang für Verdis Oper "Ein Maskenball" aufgeht, dann erfüllt sich für den Bariton Andreas Scheel ein Wunschtraum. Mit dem Grafen Renato, der aus Eifersucht zum Verräter wird, singt er in der Premiere eine seiner favorisierten Rollen.

 Tragische Figur: Andreas Scheel in "Nordische Ballade".TV-Archiv-Foto: Willi Speicher

Tragische Figur: Andreas Scheel in "Nordische Ballade".TV-Archiv-Foto: Willi Speicher

Andreas Scheel trinkt Pfefferminztee. Auch wenn es nach Krankenhaus riecht, wie er einräumt. Drei Tage vor einer großen Premiere, mit der Haupt- und der Generalprobe noch vor sich, bedarf des Sängers wichtigstes Organ der pfleglichen Behandlung. Zehn Jahre singt der gebürtige Hamburger in Trier, aber die Gelegenheit, eine seiner geliebten großen Verdi-Baritonrollen als Erstbesetzung aus der Taufe zu heben, ergab sich eher selten. Scheels Talent zur Rollengestaltung und sein kultivierter Gesangsstil kamen eher den Uraufführungen und den Ausgrabungen seltener Werke zugute. So durfte er in der Titelrolle von "Koanga" als Indianer über die Bühne hüpfen, in der "Nordischen Ballade" einen bekehrten Mörder geben oder den "Jim" in der "Glasmenagerie" gestalten. Alles anspruchsvolle Partien, aber nicht der Stoff, aus dem man Publikumslieblinge macht. Dann schon eher den Papageno, den er nicht nur in Trier, sondern auch in Mainz, München, Hannover und Saarbrücken singen durfte - so oft, dass er "einfach genug davon" hat. So nimmt er zunehmend Kurs auf die Verdi-Schmankerl, den Grafen Luna aus dem "Troubadour", den Carlo aus der "Macht des Schicksals", vielleicht auch irgendwann "Simone Boccanegra" und "Rigoletto". Das sind die raren Partien, bei denen es der Bariton zur Titelrolle bringt, ebenso wie bei Tschaikowskys "Eugen Onegin", noch so eine Wunschpartie. Aber wer in der Mittellage ganz oben aufs Verdi-Treppchen will, muss sich erst durch die Bösewichter-Rollen spielen. So wie den "Maskenball"-Renato, bester Freund des Königs Gustav (Gor Arsenian), der aufgrund des nicht ganz unberechtigten Verdachts, selbiger habe mit Renatos Frau Amelia (Vera Wenkert) angebandelt, seinen Intimus bei einem Maskenball ermordet. Da sind reichlich düsteres Kolorit und kräftige Zornesausbrüche angesagt, die Andreas Scheel seiner eher charmanten Stimme abtrotzen muss. "Drei Stunden Bösewicht ist ganz schön anstrengend", merkt er an. Aber für das voluminöse Brüllen auf der Bühne hat der 40-Jährige ohnehin wenig übrig, "auch wenn man manchmal das Gefühl hat, Publikum und Kritiker würden mehr auf die Lautstärke als auf die Nuancen achten". Da bevorzugt er einen Ästheten wie den amerikanischen Bariton Robert Merrill, der die großen Partien des Fachs auch ohne Phonstärkenrekorde brillant gestaltete. Eine Merrill-Aufnahme des "Renato" gehört denn auch zu seiner Vorbereitung, allerdings erst nach dem musikalischen Einstudieren der Rolle."In Trier konnte ich meine Stimme in Ruhe entwickeln"

Was die szenische Gestaltung angeht, verlässt sich Andreas Scheel auf die Dramaturgie und den Regisseur. Er sei "keiner von denen, die ein paar Bücher lesen müssen, bevor sie an eine Rolle herangehen". Dass er sich mit dem Regisseur über die Rollengestaltung in die Haare gerät, kommt entsprechend eher selten vor. "Ich bin einer, der erst mal abwartet, wie sich die Sache entwickelt", beschreibt er seine Herangehensweise. An Trier schätzt er, "dass ich meine Stimme hier in Ruhe entwickeln konnte". Als er vom Anfänger-Engagement aus Ulm kam, war die lange Zeit an der Mosel nicht unbedingt programmiert. Nun steht ihm in den nächsten Jahren schon die Kammersänger-Würde für langjährige Ensemble-Mitglieder ins Haus. "Da wäre ich wohl einer der Jüngsten", sinniert der nach eigener Aussage "glücklich unverheiratete" Junggeselle. Der Pfefferminztee ist ausgetrunken, auf Andreas Scheel warten wie an jedem Arbeitstag zwei Stunden Mittagsruhe. Damit der Bösewicht abends ausgeschlafen sein Unwesen treiben kann. Premiere "Ein Maskenball" am Samstag, 16. Oktober, im Theater Trier, 19.30 Uhr, Karten: 0651/718-1818

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