Auf der Suche nach der neuen Klientel

TRIER. Das klang im März noch ganz anders: Kulturdezernent Ulrich Holkenbrink meldete einen deutlichen Anstieg der Besucherzahlen im Theater und lobte überschwänglich den Aufwärtstrend. Jetzt hat die Realität Einzug gehalten: Das Publikum kam weniger als je zuvor. Das Theater sucht nach Gegenrezepten.

Intendant Gerhard Weber wirkt auf den ersten Blick etwas ratlos. Das sei doch "ein guter, profilierter Spielplan" gewesen, den er für seine erste Spielzeit in Trier vorgelegt habe. Das ambitionierte Schiller-Projekt, zwei eigens für Trier geschriebene Musicals, viele neue Spielorte, reichlich frische Ideen - nur das Publikum hat offenkundig nicht so recht mitgezogen. Publikumsrenner waren das traditionelle Kindermärchen (22 000) und der "Vogelhändler" (8700), beides eher biedere Theaterkost. Respektabel der "Cyrano" (5000) im großen Haus, insgesamt mager die Resonanz beim Musiktheater, trotz populärer Titel wie Verdis "Maskenball" (3700) und Rossinis "Italienerin" (4000). "In der Oper sind wir rückläufig", räumt Gerhard Weber ein. Er kennt auch die Flops des Jahres. "Quo vadis" ("Da habe ich hoch gepokert"), "Katja Kabanova" ("Sicher ein Dispositionsfehler in der Weihnachtszeit"), aber auch die Mettymäuse und der "Theatersport", den er so hoffnungsvoll aus Hannover mitbrachte, wo die Improvisations-Show stets vor vollem Haus stattfand. In Trier blieben drei Viertel der Plätze bei den fünf Vorstellungen leer. "Das Signal an eine neue Klientel ist noch nicht angekommen", konstatiert Weber und beschreibt die Schwierigkeit, vor allem das Umfeld der Trierer Hochschulen zu erreichen. Die Distanz sei "viel größer, als man vermutet". Und doch plädiert der Intendant dafür, die Saisonbilanz "relativ zu sehen". Tatsächlich kann er auch auf Ansätze verweisen, wo seine neuen Akzente erstaunlich gut gegriffen haben. Das Schüler-Stück "Klamms Krieg" war mit mehr als 2000 Zuschauern ein Sensations-Erfolg, und auch "Der Vogel ist ein Rabe" im Disco-Ambiente des neu entdeckten Forums lockte mit 1200 Besuchern in 15 gut verkauften Vorstellungen weit mehr Publikum, als man erwarten durfte. Das Spaß-Spektakel "Ladies Night" wurde zum stets ausverkauften Kult-Stück, und das Musical "Das Orangenmädchen" brachte es als Uraufführung immerhin auf fast 6000 meist zufriedene Gäste. Als Rekordhalter bei der Auslastungsquote erwies sich das kurzfristig eingeschobene Ballett "Requiem", das eine für Trierer Verhältnisse völlig neue Ästhetik bot. Gänzlich resistent gegenüber Innovationen ist das Trierer Publikum also nicht. Gerhard Weber sieht sich auf dem richtigen Weg, fordert aber Geduld ein "für den Spagat zwischen Profil und Anziehungskraft". Er will genauer ausloten, "wie viel das Trierer Publikum an Unbekanntem verträgt". Aber auch "mit Augenmaß im Blick haben, wo man die Leute überfordert". Dass es im Musiktheater auch um Fragen der Qualität geht, hat der bis dato Opern-unerfahrene Intendant in seinem ersten Amtsjahr gelernt. Nun will er sich verstärkt um die Sparte kümmern, darauf achten, dass die Produktionen "runder, stimmiger werden". An der Grundlinie, neue Publikumsschichten zu erschließen und vor allem auf jüngere Altersgruppen zuzugehen, will er freilich festhalten. Schon weil ihm längst keine neuen Abonnenten mehr automatisch ins Haus flattern. Der "Bindungs-Unwille der mittleren Altersgruppe" lasse bundesweit Abo-Zahlen sinken, sagt Weber. Aktuelle Trierer Zahlen will er zurzeit noch nicht nennen, immerhin würden derzeit ja noch Abonnements für die beginnende Saison verkauft. Aber Insider reden von Abo-Kündigungen im dreistelligen Bereich. Man versuche derzeit, "jeden einzelnen zurückzuholen", versichert der Intendant.

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