Auf zur Attacke - aber bitte mit Stil!

Langsam, aber gewaltig: Wann die Trip-Hop-Legenden Massive Attack das lange erwartete fünfte Album veröffentlichen werden, bleibt ihr Geheimnis. An musikalischen Ideen mangelt es jedenfalls nicht. Das zeigte der fulminante Auftritt in Esch.

 Sängerin Martina Topley-Bird beim Auftritt von Massive Attack. Foto: Rockhal/Claude Piscitelli

Sängerin Martina Topley-Bird beim Auftritt von Massive Attack. Foto: Rockhal/Claude Piscitelli

Esch/Luxemburg. (AF) Wie klingt eine Stadt? Hat die Heimat einen eigenen Soundtrack, einen unverkennbaren Musikstil? Solche Fragen werden gern mal gestellt - und zumeist unbefriedigend beantwortet. Beim Gedanken an Seattle mag mancher an Grunge denken. An Holzfällerhemden. An ein tragisches Ende. Nashville atmet Country. Liver pool ruft "yeah, yeah, yeah!". Und auch die englische Hafenstadt Bristol steht seit den frühen 90ern für einen eigenen Sound. Für Trip Hop. Für schleppende Beats, für Anleihen aus Elektro, Hip Hop, Dub und Rock. Und damit für eine der wenigen musikalischen Aha-Erlebnisse der 90er.

Blick in die große Rockhal Esch: Knapp 4000 Zuschauer sind beim Konzert von Massive Attack. Das ist der große Name im Trip Hop neben Portishead, Tricky und - zwar stilbildend, aber weniger bekannt - Smith & Mighty. So besteht die deutliche Mehrheit des Publikums aus Leuten, die schon Mitte der 90er zu "Protection" getanzt haben oder später zum chilligen "Teardrop", während in den Großraum-Discos der deutschen Vorstädte Dr. Alban und Haddaway das Sagen hatten. Letztere sind für 90er-Nostalgie-Shows zu buchen. Massive Attack ist dagegen vom Retro so weit entfernt wie ein Candlelight-Dinner im "Sonnora" vom Fünf-Uhr-morgens-Döner-mit-scharf. Bei Massive Attack war vor dem Konzert dennoch leise Skepsis erlaubt. Etwa, weil die seit zwanzig Jahren bestehende Band immer noch nicht weiß, wann das fünfte Studioalbum erscheinen wird. "100th Window" ist über sechs Jahre alt. Mancher ist auch ungehalten, dass die Band am Mittwoch erst kurz vor 22 Uhr loslegt. Dafür gibt es aber eine Publikums-Attacke mit ganz viel Stil. So erlebt man nur sehr selten mal (Rock-)Konzerte mit einer derart brillanten Akustik: Lautstärke, Abmischung, Live-Qualitäten der Band - in Perfektion: Trip Hop trifft Lounge und - immer wieder mal - auf drohende Rock-Gitarre. Und wer sich bei der 100-Minuten-Show kurz an der genregemäß gemächlichen Gang-Art stören sollte, kann sich selbst fordern: Die Laser- und Videotechnik hält auf Trab. Immer wieder huschen Zitate ins Blickfeld. Von Henry David Thoreau über Rosa Luxemburg bis Che, zumeist auf luxemburgisch. Gründungsmitglied "3D" macht ein paar kurze Ansagen, braucht aber kein Rampenlicht für sich. Das überlässt er den wechselnden Sängern: Die jamaikanische Reggae-Legende Horace Andy etwa, Dauergast bei Massive Attack, singt "Angel". Sängerin Martina Topley-Bird kommt vor "Teardrop" im Kimono auf die Bühne. Das erklärt wenig über Stadt und Sound. Aber Esch klang an diesem Abend richtig, richtig gut.

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