Aufgeschlagen - Neue Bücher: Die Neugier stirbt zuletzt

Im buddhistischen Kloster passiert eigentlich nicht viel. Die Besucher meditieren den ganzen Tag, suchen Stille im Nirwana, unterbrochen nur durch zwei vegetarische Mahlzeiten.

Und auch dabei schweigen sie. Reden ist verboten. Blickkontakt auch. Sex sowieso. Sogar schreiben. Und flüchten geht nicht: Die Schließfächer mit den persönlichen Sachen eines jeden Besuchers am Ausgang sind versperrt. Tim Parks hat aus diesem stillen Ort einen höchst spannenden Roman gemacht. Das liegt vor allem an der Konstellation seiner Figuren. Die junge attraktive und sinnenfrohe Beth, die im Kloster Abstand von den Beziehungen ihrer Vergangenheit sucht, kann es nicht lassen, die Regeln zu übertreten. Im Männertrakt stößt sie auf das Tagebuch eines Mannes, der sich eine Auszeit vor der drohenden Insolvenz seines Verlags und dem Scheitern seiner Ehe nimmt und das strenge Klosterleben mit süffisantem Sarkasmus reflektiert. Beth muss es lesen. Und kommentieren. Sie witzelt innerlich über "Mr. Tagebuchschreiber", gleichzeitig verfolgt sie ihn insgeheim neugierig und spinnt seine verkopften Gedanken weiter. Dabei dringt sie in weitere Verbotszonen vor - unerschrocken, ironisch, lebensfroh. Bei aller Komik von Beths Gedanken macht Tim Parks die Welt der Meditation keineswegs lächerlich. Dazu hat er ihre Heilsamkeit in seinem vorigen Buch "Die Kunst stillzusitzen" längst ernsthaft autobiografisch dokumentiert. Aber durch seinen Humor schafft er es, einen Bogen zu spannen zwischen philosophischem Ernst und sprühender Lebenslust. Die praktisch denkende, neugierige Beth erdet jede religiöse Entrückung. Und das macht sie so sympathisch.

Tim Parks: "Sex ist verboten", Verlag Antje Kunstmann, 336 Seiten, 19,95 Euro

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