AUFGESCHLAGEN: NEUE BÜCHER

Roland Schimmelpfennig ist - laut Verlagsangabe - der meistgespielte deutsche Dramatiker. Seine Stücke werden in über 40 Ländern auf die Bühne gebracht.

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Foto: (g_kultur

Jetzt legt er mit "An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts" (übrigens der Beginn des ersten Satzes des Buchs) seinen ersten Roman vor. Doch vorweg: Das Werk als Roman zu bezeichnen ist eindeutig zu hoch gegriffen. Schimmelpfennig (*1967) hat vielmehr einzelne Puzzleteile aneinandergefügt, viele Szenen auf rund 250 Seiten aneinandergereiht, die im Druckbild oft nur halbe oder dreiviertel Seiten füllen. So viel vorab. Geprägt ist Schimmelpfennigs Prosawerk durchweg von sozialer Kälte, seine Sprache spröde und karg, zeichnet sich durch Lakonie aus. Hauptfigur - oder Leitmotiv, um einen Begriff der Novellentheorie zu verwenden - ist ein einsamer Wolf, der sich von der polnischen Grenze durch Brandenburg auf dem Weg nach Berlin befindet. Und - dort angekommen - durch die Viertel streunt. Gesehen wird er auf seinem Weg von mehreren Menschen, die teilweise seiner Spur folgen, ansonsten ebenso wie das Tier ziellos auf der Suche sind. Wonach? Wenn man das wüsste! Schimmelpfennig fügt in seinen Szenen Ausschnitte von Beziehungen der Personen hintereinander, die für den Leser durchaus einen Zusammenhang bilden, den handelnden Figuren aber zumeist verschlossen bleiben. Ihr Hineinwirken in die Geschichten der anderen wird von einem Erzähler regelrecht protokolliert. Er ist das "Sprachrohr" Schimmelpfennigs. Sein Personal: Die Figuren fristen alle ein äußerst tristes Dasein. Dazu gibt's ein Gewehr, das auch auf verschlungenen Pfaden den Weg von den brandenburgischen Wäldern nach Berlin nimmt und viel Unheil anrichtet. Und schließlich Icke - den einzigen Menschen, den ein von zu Hause weggelaufener Junge in Berlin überhaupt kennt. Ihn aber selbstverständlich nicht findet. Icke taucht auf den letzten Seiten von Schimmelpfennigs Buch erstmals auf. Und sieht als Letzter den Wolf. Der ist dann verschwunden. Insgesamt ein recht seltsames, aber durchaus souverän erzähltes Werk ist Schimmelpfennigs erste Prosa-Arbeit. In einer Zeit, in der der Weg der Literatur häufig von der Romanvorlage zur Umsetzung für die Bühne oder den Film führt, geht hier ein Dramatiker den Weg andersherum. Seine Herkunft kann - und will - "An einem klaren, eiskalten Wintermorgen" aber zu Recht nicht verleugnen. Jörg Lehn Roland Schimmelpfennig: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Roman, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2016, 254 Seiten, 19,99 Euro.

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