Aufgeschlagen - Neue Bücher

Krieg, Verfolgung, Terror. Kaiserreich, Weimar, Nazi-Diktatur, Sozialismus, Kapitalismus.

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Foto: (g_kultur

An die 100 Jahre, drei Generationen, eine Familie: Das ist der Rahmen von "Alle Nähe fern". André Herzberg, der in der DDR ein bekannter Rocksänger bei der Band Pankow war, hat den Roman geschrieben. Die Zimmermanns starten durch im späten deutschen Kaiserreich. Heinrich Zimmermann, ein Lederwarenhändler aus Hannover, baut auf seinen Unternehmertraum vom wohlhabenden jüdischen Deutschen. Und obwohl er bald in den Krieg muss und verstört zurückkehrt, wirtschaftet er klug, bringt Firma und Familie durch die Weimarer Republik. Als 1933 der Nazi-Terror beginnt, wird die bisherige Existenz vernichtet. Keine Heimat mehr, keine funktionierende Familie, kein Wohlstand. Eine Tochter bringt sich um. Mit letzten Mitteln schaffen Heinrich, seine Frau Rosa sowie die drei Kinder Gertrud, Konrad und Paul die Flucht ins Exil. Die Familie bleibt verstreut, nur lose in Verbindung. Die einen behelfen sich mit Jobs, fangen gar neu an. Bei den anderen, insbesondere dem Jüngsten, Paul, kommt die Ideologie hinzu: Er ist Kommunist, bekämpft erst in britischer Uniform die Nazis mit und dann die alten Kapitalisten - was ihn dazu bringt, seine jüdischen Wurzeln zu leugnen. Mit seiner Frau Lea kehrt er zurück nach Deutschland, auf die vermeintlich richtige Seite: in die sowjetisch besetzte Zone, die später zur DDR wird. Hier spielt der zweite Teil der Familiensaga, erzählt aus der Warte von Pauls Sohn Jakob. Dem setzen die Enge der sozialistischen Republik, der Vater, der bald die Familie verlässt, und die schwierige Frage nach den eigenen Wurzeln zu. Erst als erwachsener Mann, nach dem bereits verblassenden Erfolg als Musiker, findet er eine Lösung - in der die alte Religion seiner Familie die zentrale Rolle spielt. Herzberg schreibt bestechend einfach und klar. Das macht die Geschichte spannend und schnell. Egal, ob jemand aus dem Osten oder Westen Deutschlands kommt, ob er katholisch, jüdisch oder atheistisch denkt: Das ist sehr gut zu lesen und vermittelt lebensnah deutsch-jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert. Oliver Haustein-Teßmer André Herzberg: Alle Nähe fern. Ullstein Verlag Berlin, 272 Seiten, 21 Euro.

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