Entfacht hatte seine Liebe just dieses Bild von einer die Treppe hinabsteigenden Frau - nackt. Schon damals war der Anwalt - der Ich-Erzähler - nicht der einzige Verehrer gewesen. Doch dann verschwanden Frau und Gemälde auf rätselhafte Weise. Als er im Alter dann die Spur findet, führt das Bild ihn nicht nur zu der Gesuchten, sondern letztlich auch dazu, sich der eigenen Biografie zu stellen - mit manch\' unbequemer Wahrheit. Was wie ein flott erzählter Krimi beginnt, entwickelt sich zu einer späten Liebesgeschichte an der Schwelle des Todes. Dabei verkörpern die Figuren jedoch arg holzschnittartig Ordnung und Rebellion, Kunst und Kapital. Hinter diesen Rollen bleiben sie blass und leblos. Und trotz der knappen, klaren Sprache bremsen zudem viele banale Gedanken und klischeehafte Beschreibungen die Spannung aus. ("Die Sonne schien, in der Kastanie sangen die Vögel und von der Kirche klangen die Glocken herüber.”) Die Geliebte entpuppt sich im Alter gar als RAF-Terroristin, die in der DDR unterkam - dabei wäre eine solch dramatische Story für den Fortgang der Handlung nicht nötig gewesen. Die Begegnung zweier alter Menschen macht das einzig Besondere dieses Buches aus. Die beiden ziehen nicht nur Bilanz, sondern phantasieren gemeinsam ein ungelebtes Leben. Sie tun dies nicht im Konjunktiv, als "was wäre gewesen, wenn”, sondern spinnen ihre Geschichte gemeinsam fort, als hätte es sie gegeben. Ein originelles Spiel mit der Fiktion. Diese Wende am Schluss versöhnt den Leser ein wenig nach der Enttäuschung über viele seichte Sätze. Annemarie Heucher Bernhard Schlink, Die Frau auf der Treppe, Roman, Diogenes Verlag, 256 Seiten, 21,90 Euro Diese und weitere TV-Kolumnen gibt es auch online auf <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/kolumne" class="more" text="www.volksfreund.de/kolumne"%>