Aufgeschlagen - neue Bücher

Erzählungen schlagen normalerweise nicht so ein wie Romane. Zu belanglos, unbedeutend, die Geschichten.

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Foto: (g_kultur

Kaum hat man sich eingelesen, ist die Geschichte schon vorbei. Nicht so bei Terézia Mora. Ihre zehn Erzählungen unter dem Titel "Die Liebe unter Aliens" haben eine Wucht, als wären es kleine Romane. Jede Erzählung der aus Ungarn stammenden, auf Deutsch schreibenden Autorin hat das Zeug zu einem größeren Werk. Ihre Figuren bleiben im Gedächtnis. Die meisten Menschen, die Mora erfunden hat, sind vom Unglück gezeichnet. Einsame, Verlassene, Entwurzelte. Da ist der Frührentner, der Sonderling, dem ein Bursche auf offener Straße den Geldbeutel aus der Hand reißt und der dann die einzige Besonderheit ausspielt, die sein Leben prägt: er ist Marathonläufer. Und während der Alte den jungen Dieb verfolgt, mitten durch die Großstadt, fängt die Geschichte sein ganzes Leben ein, in kurzen Sequenzen, lakonisch geschildert, im Tempo des Dauerlaufs. Virtuos! Da ist der Sanitäter, der fast vor Sehnsucht vergeht nach seinem Sohn, Scheidungsvater, den eine Todesanzeige zurückversetzt in die brutale Pädagogik kirchlich-moralischer Demütigung, deren Opfer sein bester Freund wird. Und da ist der japanische Professor, der nach der Emeritierung nicht weiß, wie er seine Tage füllen soll und einer buddhistischen Göttin verfällt. In der Titelgeschichte schließlich kontrastiert Mora das junge, glück- suchende Pärchen mit den Eheleuten, deren Kinderlosigkeit bis ins Alter ihre Sprengkraft behält. Moras Erzählstil ist sehr nah bei ihren Figuren. Oft umgangssprachlich, im Stakkato, häufig die Perspektive wechselnd zwischen Monolog und Dialog - so wirft die Autorin Schlaglichter auf eine Gesellschaft von einsamen Individuen, die letztlich eines eint: die Hoffnung und der Anspruch auf Nähe und Liebe. Anne Heucher Terézia Mora, Die Liebe unter Aliens: Erzählungen, Luchterhand Literaturverlag, 272 Seiten, 22 Euro.

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