Aufgeschlagen - Neue Bücher

Es ist, als ob der Leser bei der Lektüre der Briefsammlung eine neue Freundin gewinnen würde: Mascha Kaléko. "Liebst du mich eigentlich?" enthält private Briefe der Dichterin an ihren Mann, die einen Einblick in ihren Alltag, ihre Gedanken und Gefühle geben.

Im Frühjahr 1956 kommt Mascha Kaléko zum ersten Mal seit ihrer Emigration wieder nach Deutschland. 1938 verließ sie ihr geliebtes Berlin und wanderte nach New York aus. Ihr Mann kann sie nach Deutschland nicht begleiten. Also schreibt sie ihm. Täglich verfasst sie Berichte. Darin liest und spürt man die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden. Gerade weil diese Briefe keine herkömmlichen Liebesbriefe sind. Es ist eine Liebe, die keine großen Worte braucht - nur am Ende jedes Briefes finden wenige Liebesworte Platz. Aber auch dort sehr dezent. "L.d.m.e.?” ("Liebst du mich eigentlich?”), fragt Kaléko in den letzten Zeilen fast jedes Briefes. Wenn man ihr lyrisches Werk kennt, das von scherzhafter Melancholie und Sehnsucht geprägt ist, ist man fast überrascht von der Sachlichkeit in den Briefen. Trotzdem erkennt man die Dichterin, ihren Witz und ihr Temperament: "Aber lauwarm ist es nie in mir.” Die Briefe sind viel mehr als Zeugen einer Seelenverwandtschaft. Sie sind ein Zeitdokument des Lebens in der Bundesrepublik in den 1950ern. Trotz des beruflichen Erfolgs der Dichterin in Deutschland bleibt das Geld für sie ein ewiges Thema. In den Briefen listet sie auf, wie viel sie für Essen, Zimmer oder Zugfahrt bezahlt. Ihrem Mann versichert sie oft, dass sie sparsam mit dem Geld umgeht. Die Dichterin beschreibt ihm auch ihre Begegnung mit der alten Heimat und die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, die nicht immer einfach ist: "Ganz frei von den düsteren Geistern, die ich nun überall auf diesem Boden sehe, wird das Land für mich wohl kaum werden”, schreibt sie in ihrem ersten Brief nach der Ankunft in Hamburg. Und dieses Gefühl bleibt auch in den folgenden Monaten, in Kassel, Berlin und München. Kaléko erkennt noch zu viel Nähe zum Nationalsozialismus. Zu viele Uniformen, zu viel Unterwürfigkeit - der Leser spürt ihr Misstrauen. Etwas Besonderes ist ihr Wiedersehen mit Berlin: "Die Stadt ist ein Trümmerfeld", Armut ist überall. Berlin kommt ihr vor, "wie eine alte Jugendfreundin, die kaum einen Zahn im Munde hat". Nur der Ku \'damm ist anders, "ein Schönheitspflaster auf einem von Bomben zerstörten Gesicht”. Nicht nur die Straßen sind zerstört, auch Atmosphäre und Humor sind vernichtet. "Da fehlen die Juden”, schreibt sie. Das betrübt Kaléko am meisten. Und lässt spüren, wie sie sich stets fremd gefühlt hat. In Deutschland, in Amerika, in Israel. "Nur das Weh, es blieb/Das Heim ist fort." Barbara Cunietti Mascha Kaléko, "Liebst du mich eigentlich?": Briefe an ihren Mann, dtv, 2015, 192 Seiten, 9,90 Euro.