aufgeschlagen - neue bücher

"Wann ist der richtige Zeitpunkt, wieder ins Lebens einzusteigen? Gibt es einen richtigen Zeitpunkt? Ich muss es wagen.” Seit acht Wochen sitzt Oliver Polak, "jüdischer Stand-up-Comedian, der Holocaustclown, der Showjude”, in der Psychiatrie.

Diagnose: schwere Depression. In "Der jüdische Patient” erzählt Polak von diesem achtwöchigen Auftritt seiner Seele, seiner Gedanken, seiner Verzweiflung. Nach mehr als 600 Shows, einem Bestseller und Lesereisen ist Polak fertig. 40 Kilo hat er zugenommen, keinen Antrieb mehr, dafür Panik-attacken. An einem Novembermorgen entscheidet er, in die Klinik zu gehen. Oliver Polak erzählt von dieser Reise zum Ich, von dem Versuch, zu verstehen, woher diese Leere kommt - doch "kann man Leere überhaupt beschreiben?” Polak schafft es. Es gelingt ihm, die traurigsten Momente mit Humor zu vermischen. Denn trotz aller Tragik muss man bei einigen Passagen wirklich lachen, wie bei den Dialogen zwischen Polak und seinem paranoiden Mitbewohner in der Klinik. Polak benutzt immer eine direkte Sprache und bereichert diese mit musikalischen Referenzen. Musik ist im Leben und im gesamten Buch die treue Begleiterin des Komikers. Doch Polak ist kein Kuscheljude. Und deswegen habe das Publikum ihn oft verachtet. Deutschland: "meine KZ-Comedy”. Die Zuschauer buhen ihn aus, Journalisten stellen ihm unmögliche Fragen ("Warum suchen alle deutschen Juden immer das Mitleid der Öffentlichkeit?”), die Nachbarn aus Papenburg vergleichen die Taten der Israelis mit denen der Nationalsozialisten. Beim Geburtstag seines Vaters. Ein Mann, der das KZ überlebte, dessen Familie zum Teil ermordet wurde. Das Judentum ist immer präsent. Es ist, als ob Oliver Polak, 38, eine tausendjährige Geschichte hinter sich hätte. Er wird immer mit seiner Herkunft konfrontiert - zu oft aber auf böse Weise. Antisemitismus ist ein Teil seiner Depression. Diese hat aber vielerlei Quellen. Vielleicht fasst Polak am besten seine Krankheit mit diesem Satz zusammen: "Ich hasse mich für die letzten Jahre, in denen ich es nicht geschafft habe, mich aus den Fesseln, die ich mir selbst angelegt habe, zu befreien. Depression ist meine Aggression gegen mich.” Sein Therapeut entlässt ihn genau mit einem Rat, der wie eine Antwort auf diesen Satz klingt. "Machen Sie sich von nichts und niemandem abhängig.” Nach zwei Monaten verlässt Polak die Klinik, es geht ihm besser. Er entscheidet sich, seiner Sunny die Liebe zu gestehen. Ein süßer Ausblick nach 229 schonungslosen, ehrlichen und wütenden Seiten. Barbara Cunietti Oliver Polak, "Der jüdische Patient", KiWi, 2014, 240 Seiten, 9,99 Euro.

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