Autobahnen, Waldwege und unterschätzte Komponisten

Messerich · Die Pfarrkirche St. Martin in Messerich verwandelte sich für die Dauer von vier Tagen in ein professionelles Tonstudio. Für das von der Fachpresse hochgelobte Pleyel-Quartett aus Köln bietet das Gotteshaus die perfekte Akustik, um die aktuelle CD aufzunehmen.

 Mit höchster Konzentration: Das Pleyel-Quartett aus Köln – Ingeborg Scheerer, Maria Deller, Andreas Gerhardus und Milena Schuster (von links) – bei der Aufnahme in Messerich. TV-Foto: Vladi Nowakowski

Mit höchster Konzentration: Das Pleyel-Quartett aus Köln – Ingeborg Scheerer, Maria Deller, Andreas Gerhardus und Milena Schuster (von links) – bei der Aufnahme in Messerich. TV-Foto: Vladi Nowakowski

Messerich. Auf den ersten Blick fallen die Mikrofone vor dem Altar auf. Ein blaues Kabel windet sich von dort zur Sakristei der Pfarrkirche, deren Ursprünge im 12. Jahrhundert liegen. Aber sonst: keine aufwändige Technik, kein riesiges Mischpult, keine Lautsprecher - bis auf einen kleinen Monitor, der bequem in einer mittelgroßen Damenhandtasche Platz hätte. Über diesen Monitor kommuniziert Tonmeister Uwe Walter von der Sakristei aus mit den Musikern des Pleyel-Quartetts im Altarraum, die hier konzentriert an ihrer neuen CD arbeiten. Für die Aufnahmen sind vier Tage angesetzt - die Zeit ist knapp, jede Minute wird genutzt, um die Streichquartette des italienischen Komponisten Gaetano Donizetti (1797 - 1848) perfekt einzuspielen. Fast jeder Takt wird ausführlich behandelt, und die Gespräche lassen vermuten, dass Musiker und Tonmeister sich lange kennen und bestens verstehen: "Das erste Plock-Plock vielleicht ohne Akzent und viel beiläufiger, Andreas", sagt Uwe Werner in sein Mikrofon, woraufhin Bratschist Andreas Gerhardus die entsprechende Stelle der Fuge ausprobiert. "Milena geht unter, alle anderen scheren sich einen Teufel ums Piano", heißt es kurz darauf nicht weniger kryptisch. Und: "Ein kleines Crescendo vor Takt 82, dann wird die Sache organischer." Die Geigerinnen Ingeborg Schuster und Milena Schuster spielen den Takt an, Marie Deller am Violoncello und Andreas Gerhardus setzen punktgenau ein. Uwe Walter ist zufrieden. "Sehr schön, die Stelle ist im Kasten", freut sich der Tonmeister. Den "Kasten" hat Walter in der Sakristei aufgebaut. In Zeiten digitaler Aufnahmetechnik passt ein mobiles Tonstudio in einen größeren Koffer. An das Mehrspurgerät sind die fünf Mikrofone im Altarraum angeschlossen; die Aufnahme überwacht der Tonmeister auf dem Bildschirm eines Laptops. Bei der Auswahl der Messericher Kirche als Ort der CD-Aufnahme kam der Zufall zur Hilfe: "Wir waren in der Nähe im Urlaub und haben die Pfarrkirche für uns entdeckt", sagt Ingeborg Scheerer. Der Raum mit seinem natürlichen Hallanteil eigne sich perfekt für die Musik des Quartetts. "Und es gibt kaum Störgeräusche von außen", fügt Uwe Walter hinzu. Das Pleyel-Quartett, benannt nach dem österreichischen Komponisten Ignaz Pleyel (1757 - 1831), hat sich auf die Aufführung und die Aufnahme kammermusikalischer Werke spezialisiert, über die sich der Mantel der Musikgeschichte gelegt hatte. "Wir versuchen mit unserer Arbeit, zu Unrecht vergessene Meisterwerke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", erklären Marie Deller und Milena Schuster. "Viele sind nicht editiert, zeitgenössische Drucke oft fehlerhaft", fügt Andreas Gerhardus hinzu. Er hat im Ensemble die Aufgabe, nach vergessenen Meisterstücken in Bibliotheken und Archiven zu stöbern. "Aufnahmen existieren nicht. Das gibt uns die Freiheit zu experimentieren und eine Brücke in diese Zeit zu schlagen, um her-auszufinden, wie der Komponist sein Werk angelegt hat", sagt Scheerer. Heute dominiere die Dreifaltigeit Haydn, Mozart und Beethoven die klassische Musik, meint Uwe Walter: "Aber wenn man sich in den Zeitepochen umschaut, entdeckt man viele Komponisten, die es genauso gut konnten - oder noch besser." Ein wichtiger Aspekt, der das Klangbild des Pleyel-Quartetts aus der breiten Masse hervorhebt, ist der Gebrauch von Darmsaiten. Sie verlangen äußerst genaues Spiel und Intonation. "Darmsaiten verhalten sich zu heutigen Kunststoffseiten wie ein Waldweg zu einer Autobahn", sagt Bratschist Andreas Gerhardus. "Auf der Autobahn fahren sie sicher und schnell - der Waldweg ist nicht eben und voller Schlaglöcher, aber er bietet die Gelegenheit, mal links und rechts an einer Blume zu riechen." Viel besser lässt sich das lebendige und virtuose Spiel des Pleyel-Quartetts nicht in Worte fassen.Extra

Bisherige Aufnahmen des Pleyel-Quartetts aus Köln: Ignaz Pleyel: Preussische Quartette 7-9 (2008). Ignaz Pleyel: Preussische Quartette 4-6 (2012). August Klughardt: Streichquartett F-Dur, OP.42, Klavierquintett G-Moll, OP.43 (2012) Adalbert Gyrowetz: 3 Streichquartette (2013). Ignaz Pleyel: Preussische Quartette 1-3 (2014) Alle CDs erschienen bei cpo. Auch das neue Werk wird die Plattenfirma cpo veröffentlichen. Co-Produzent ist - wie bereits bei der Aufnahme der Streichquartette von Gyrowetz - Deutschlandradio Kultur. vladi pleyelquartett.de

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