Baden im Strom der Wortgewalt

Luxemburg · Da hat das Luxemburger Kapuzinertheater einen echten Coup gelandet: Die Uraufführung von Albert Ostermaiers "Schwarze Sonne scheine" ist ein fulminantes Ein-Personen-Stück, das mit sprachlicher Wucht elementare Fragen erörtert.

 Entsetzt über den fürchterlichen Betrug: Schauspieler Luc Feit in der Rolle des Klosterschülers Sebastian. Foto: Theater

Entsetzt über den fürchterlichen Betrug: Schauspieler Luc Feit in der Rolle des Klosterschülers Sebastian. Foto: Theater

Luxemburg. Was macht das mit einem jungen Menschen, wenn sein Grundvertrauen in einer Frage auf Leben und Tod enttäuscht wird, ausgerechnet von denen, die ihm Vorbild und Orientierungspunkt waren?
Als Albert Ostermaiers Roman "Schwarze Sonne scheine" im Frühjahr 2011 erschien, brodelte das Feuilleton über vor Begeisterung. "Endlich wieder ein Dichter", jubilierte die Zeit, und die FAZ entdeckte beim gefragtesten lebenden deutschen Dramatiker "eine überbordende, ekstatische, verschwenderische Prosa".
Die Handlung lud zu Spekulationen über einen autobiografischen Hintergrund ein. Die Hauptfigur ist wie einst Ostermaier ein Klosterschüler und angehender Dichter, sein Widersacher trägt unübersehbar die Züge des populären Benediktiner-Abtes Notker Wolf.
Was dem jungen Sebastian widerfährt, klingt wie ein Horror-Trip: Auf Anraten des Ordensmannes, dem er vertraut, lässt er sich von einer Ärztin untersuchen, die eine unheilbare, schnell zum Tode führende Krankheit diagnostiziert - die sich scheinbar nur durch eine von ihr vorgeschlagene, einschneidende Behandlung aufhalten lässt. Nach Wochen des Schreckens angesichts der fatalen Prognose entschließt sich Sebastian, gegen den ausdrücklichen Rat des Abtes, der Diagnose nicht zu vertrauen und eine zweite Meinung einzuholen. Es stellt sich heraus, dass er völlig gesund und die vermeintliche Ärztin eine Betrügerin ist. Es gelingt ihm letztlich nicht, die Rolle des Abtes zu klären, der den Dialog verweigert.
Ostermaier selbst hat die Bühnenfassung des Romans erarbeitet, und ihm gelingt, was keine Selbstverständlichkeit ist: die Vorlage so zu komprimieren, dass sie in 90 Bühnen-Minuten den Kern der Geschichte transportiert. Lokal- und Zeitkolorit, Ambiente und Rahmen treten zurück, die neugierige Suche nach dem autobiographischen Hintergrund spielt keine wesentliche Rolle mehr. Es geht um die Verletzungen, die ein Mensch erleidet, dessen Leben willkürlich zur Disposition gestellt wird. Es geht um die Unwiederbringlichkeit verlorenen Vertrauens. Es geht um die Berechtigung von Glauben und die Notwendigkeit von Zweifel.
Der lange Monolog erzählt einerseits eine Geschichte und verwandelt sie andererseits in eine philosophische Reflexion. Dass der Regisseur und Bühnenbildner Johannes Zametzer eine realistisch gezeichnete Krankengeschichte daraus macht, liegt nahe. Ein Krankenhausbett, Paravent, Tisch, OP-Leibchen, Fernseher: Das ist die Umgebung, in der Luc Feit seine exorbitante Schauspielkunst ausbreitet. Mal zornig hadernd, mal verzweifelt nach Erklärungen suchend, auch nach Jahren noch verblüfft über das Geschehen, das er Revue passieren lässt: Das ist keine späte Abrechnung, die doch so nahe läge, es ist eher der Versuch, einen Knoten zu lösen, der auf der Seele liegt.
Feit (er war in Trier zuletzt als Gast in Shakespeares "Sturm" zu sehen) spielt das mit unbedingtem Einsatz, aber doch auch mit angemessener Distanz zur Figur, frei von jeder Exaltiertheit, immer das Wort in den Vordergrund stellend. Da ist auch Raum für Komisches, aber nicht für Grelles. Es wäre auch schade um jeden billigen Effekt, der von der Sprache Ostermaiers ablenkt. Man möchte baden im Strom seiner Wortgewalt, die es (fast) immer schafft, kein Selbstzweck zu sein. Nach "Das Leben der anderen" und "Der Aufstand" ist es das dritte große Ostermaier-Projekt in Luxemburg innerhalb von drei Jahren. Wäre schön, wenn diese Achse weiter erhalten bliebe.
Weitere Vorstellungen: 3. und 4. Dezember, Kapuzinertheater. Info: www.theatres.lu.

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