Balken, die vor Sünden schützen

TRIER. Die Stadtbibliothek wartet mit einem einzigartigen Bestseller auf. Eine Ausstellung dokumentiert die Erfolgsgeschichte der Bibel.

Gläubigen Christen ist sie das Buch der Bücher. Aber auch weniger gläubige Zeitgenossen müssen zugeben, dass die Bibel ein altersloser Bestseller bleibt, dessen zeitlose Weisheiten Auflagen erreichen, von denen andere Autoren nicht mal zu träumen wagen. Wie oft die Handlungsgrundlage des Chri-stentums vervielfältigt und in Teilen oder als Ganzes herausgegeben wurde, ist unbekannt. Übersetzt ist sie jedenfalls inzwischen in 1800 Sprachen, weitere Übersetzungen sind in Vorbereitung. Und auch mit ihrem wirtschaftlichen Erfolg kann die "Heilige Schrift" zufrieden sein. Sie gehört mittlerweile zu den höchstbezahlten Büchern der Welt. Für eine Gutenberg-Bibel aus der angesehenen Sammlung Pforzheimer musste schon 1978 die Universität von Texas stolze 2,4 Millionen Dollar bei einer New Yorker Auktion ausgeben. Theologenstreit, der in rohe Gewalt ausartete

Die Bibel gilt aber auch als das "verderbteste Buch" der Welt, wie ein Wissenschaftler im 19. Jahrhundert kritisch vermerkte. Soll heißen: Unzählig sind die Fehler, die sich im Zuge der Abschriften und Übersetzungen von über zwei Jahrtausenden eingeschlichen haben. Schon sehr früh ging man deshalb daran, Bibelausgaben (und Teilausgaben) mit "kritischen Apparaten" und Seitenkonkordanzen zu versehen, in denen die unterschiedlichen Lesarten notiert waren. Gerade letztere machten die Bibel von jeher zu einem höchst wirksamen Lehrbuch für die Schule des Streitens. Wobei der biblisch fundierte Theologenstreit immer wieder in rohe, gänzlich ungeistliche Gewalt ausartete. In Trier ist von solch theologischem Hauen und Stechen nichts zu spüren. Einträchtig und wohltemperiert liegt dort nebeneinander, was einstmals nicht miteinander konnte: Thora und Neues Testament, Lutherbibel und Vulgata , katholische und evangelische Bibelausgaben aus aller Herren Länder - und natürlich die wunderschönen Handschriften des Mittelalters. "Schatzkammer" nennt sich der mit neuesten Klima-, Licht- und Sicherheitsanlagen ausgestattete Schauraum der Stadtbibliothek. Genau das ist er mit seinen wunderschönen und zum Teil seltenen Bibel- und Buchausgaben, die für jeden Bücherliebhaber und Kunstfreund eine Augenweide sind, ob er nun bibelfest ist oder nicht. Wer sich nur für Bibelillu-stration oder Buchbinderkunst interessiert, kommt auch auf seine Kosten. Und wer einen Blick für die menschliche Dimension der Kirche hat, wird mit Heiterkeit die schwarzen Balken über dem Autorennamen Luther und über den Genitalien von Adam und Eva wahrnehmen, die den katholischen Leser vor Sünde schützen sollten. Als kulturelle Leuchttürme (entsprechend dem aktuellen kulturtouristischen Sprachgebrauch ) bezeichnet denn auch Bibliotheksdirektor Gunther Franz die Kostbarkeiten in Buchform, die von der Erfolgsgeschichte der Bibel zeugen. Etwa seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. sind Niederschriften des Alten Testaments bekannt. Bis das Neue Testament als eigentliche Neuerscheinung des Chri-stentums abgefasst war, dauerte es bis 200 n. Chr. Die Trierer Ausstellung belegt eindrucksvoll die biblische Textgeschichte und ihre buchkünstlerische Gestaltung. Einmal mehr verweist sie auf die lange Tradition von Stadt und Region als kulturelles und geistliches Zentrum. Stammen doch sämtliche Bibeln und Schriften aus hiesigen Klöstern und aus der Bibliothek des Trierer Jesuitenkollegs. Ein Exemplar für des Kaisers Verwandte

Die wertvollste der ausgestellten Handschriften ist das berühmte Ada-Evangeliar aus der Hofschule Karls des Großen. Der bildungsbeflissene fränkische Kaiser hatte sich in seiner hauseigenen Akademie, wo er Gelehrte und kunstsinnige Mönche versammelte, quasi selbst als Schüler eingeschrieben. Das Evangeliar, das aus St. Maximin stammt und womöglich für eine Verwandte Karls namens Ada gefertigt wurde, ist ein Kleinod karolingischer Buchkunst. Mit goldener Tinte sind die vier Evangelien aufgeschrieben, in feinsinnigen Bildern erscheinen die Evangelisten. Prächtig in feinster Goldschmiedekunst schimmert der goldene Prunkdeckel. Ein Prachtstück mehr ist der "Codex Egberti". Das Perikopenbuch des Trierer Erzbischofs und Kanzlers Otto des II. von 980 wurde in der legendären Schule von Reichenau illu-striert. Zu den Highlights der Schau gehören weiter die Echternacher Riesenbibel, die Gutenbergbibel, ein originaler Lutherbrief sowie die kleine Mainzer Bibel, deren Seiten aus der hauchdünnen Haut ungeborener Zicklein besteht. Selten und schön: die Thorarolle mit Thoramantel aus dem 18. Jahrhundert. "Die Bibel hat doch recht" befand vor einiger Zeit ein Buchtitel. Zumindest hat sie jedem etwas zu bieten, sei er nun theologisch oder kunst- und kulturgeschichtlich an ihr interessiert. Bis 31. Oktober, mo.-fr. 14 bis 16.30 Uhr, sa. 10 bis 12 Uhr.

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