Behandelt Kinder wieder wie Kinder

Volles Haus beim Eifel-Literatur-Festival in Bitburg: Ausverkauft war die Lesung mit dem Kinder- und Jugendpsychologen Michael Winterhoff, der über Beziehungsstörungen zwischen Erwachsenen und Kindern referierte.

 Michael Winterhoff. TV-Foto: Stefanie Glandien

Michael Winterhoff. TV-Foto: Stefanie Glandien

Bitburg. "Wir haben keine kranken, sondern nichtentwickelte Kinder", ist die These von Kinder- und Jugendpsychologe Michael Winterhoff, der zu Gast beim Eifel-Literatur-Festival in Bitburg war. Basierend auf seinen täglichen Praxiserfahrungen hat er den gesellschaftlichen Umgang mit Kindern analysiert und mit seinen Veröffentlichungen "den Nerv der Zeit getroffen", sagt Festival-Organisator Josef Zierden. Winterhoff, der mit seiner Ratgeber-Trilogie ("Warum unsere Kinder Tyrannen werden", "Tyrannen müssen nicht sein", "Persönlichkeiten statt Tyrannen") die Bestsellerlisten stürmt und bereits in 14 Sprachen übersetzt wurde, habe einen neuen Ansatz gefunden, sagt Zierden. Nach Meinung Winterhoffs gibt es drei Arten der Beziehungsstörung: Seit Anfang der 90er Jahre werden kleine Kinder immer stärker als Partner gesehen und wie kleine Erwachsene behandelt. Seit etwa zehn Jahren beobachtet er außerdem, dass Erwachsene immer stärker das Bedürfnis entwickeln, von ihren Kindern geliebt zu werden (Protektion). Grund dafür sei, dass die Gesellschaft sich immer mehr auflöse, es wenig Orientierung, Anerkennung oder Sicherheit mehr gebe.

Daraus resultierend würden Eltern denken: "Wenn mich schon draußen keiner liebt, soll mich wenigstens mein Kind lieben." Eine Machtumkehr sei die Folge.

Seit 2002 sei noch eine dritte Störung hinzugekommen. Eltern definierten sich zunehmend über das Glück ihrer Kinder. Dadurch verschmelzen die Kinder psychisch mit den Eltern, werden Teil von ihnen (Symbiose). Aber auch außerhalb des Elternhauses sei vieles im Argen.

Lehrer seien heute mehr und mehr Mentoren und Partner ihrer Schüler. Stattdessen bräuchte man in Kindergärten und Schulen wieder Erzieher, die sich um die psychische Entwicklung der Kinder kümmern. "Wer Tennis lernen möchte, muss dafür auch jahrelang die Vor- und Rückhand üben. Der Tennislehrer kann nicht Tennis vorspielen und erwarten, dass der Schüler das dann kann."

Um Psyche zu bilden, müsse man die Nervenzellen im Gehirn trainieren. Und das geschehe durch immer gleiche Abläufe. "Heute können sich die Kinder im Kindergarten aussuchen, was sie machen wollen. Kein Wunder, dass die immer weniger können", sagt Winterhoff. Sein dringendster Appell an diesem Abend war: Kinder wieder wie Kinder zu behandeln - nur so hätten diese zukünftig eine Chance, sich normal zu entwickeln.

Thomas Hochhalter aus Trier war vom Vortrag beeindruckt: "Michael Winterhoff hat das Problem auf den Punkt gebracht, fast wie mit dem Skalpell seziert. Ich hätte mir gewünscht, er hätte noch eine Anleitung an die Hand gegeben." Bettina Bartz, Mutter und Gymnasiallehrerin aus Meckel sagt: "Sein Konzept ist sehr schlüssig. Der Vortrag war sehr lebendig mit vielen Beispielen. Ich werde wieder mehr beobachten und meine Arbeit hinterfragen." Das Eifel-Literatur-Festival geht in die Sommerpause. Weiter geht es nach den Ferien mit Professor Dietrich Grönemeyer am 27. August.

Karten gibt es in den TV-Service-Centern Trier, Bitburg, Wittlich. Weitere Infos unter www.volksfreund.de/extra und www.eifel-literatur-festival.de

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