Bergsteiger als Künstler

Die Vita seiner eigenen Webseite nennt ihn einen Grenzgänger, Autor und Bergbauern. Als Kletterer und Höhenbergsteiger genießt Reinhold Messner (65) den Ruf einer lebenden Legende. Überschattet wurde die einzigartige Karriere des Südtirolers vom tragischen Tod seines jüngeren Bruders Günther, der 1970 beim Abstieg vom 8125 Meter hohen Himalaya-Gipfel Nanga Parbat ums Leben kam.

Berlin. (AWE) Joseph Vilsmaiers neuer Spielfilm "Nanga Parbat", der diese Woche in den Kinos startet, zeichnet die dramatischen Ereignisse des Jahres 1970 nach. TV-Mitarbeiter André Wesche sprach mit Reinhold Messner.

Welche Gefühle werden wach, wenn Sie sich diesen Film anschauen?

Messner: Für mich ist es nicht so schwierig. Ich habe es verarbeitet. Sie müssen verstehen, dass ich den Film als Film sehe und nicht als meine erlebte Geschichte. Es ist auf mehreren Ebenen interessant. Ich habe Kinder, die natürlich sagen, Papa, das bist nicht du. Sie kennen mich, meine Art und meinen Charakter. Sie sehen jetzt allerdings ihren verstorbenen Onkel Günther. Sie wissen zwar, dass auch er von einem Schauspieler gespielt wird, aber in ihrem Empfinden ist es "der Onkel".

Ist das Verhältnis zu Ihrem Bruder Günther akkurat dargestellt?

Messner: Ja. Wir sind extrem geklettert, das war unsere Welt. Ich war der ältere Bruder. Fast zwei Jahre bedeuten in der Welt der extremen Kletterei sehr viel. Ich hatte von Kindheit an die Verantwortung für den Kleineren. Aber er war in der Zwischenzeit, 1970, auch erwachsen und ging mit anderen Leuten schwere Touren. Doch in Seilschaft mit Günther war immer klar, dass ich vorausgehe. Es lag also mehr Verantwortung bei mir.

Inwiefern hat die Arbeit am Film die damaligen Ereignisse noch einmal aufgewühlt?

Messner: Manche Momente des Filmes sind sehr nahe an der Realität, und dann brechen auch bei mir die Emotionen wieder auf. Aber inzwischen habe ich Bücher dazu geschrieben und x-mal mit diesem Thema auf der Bühne gestanden. Das war besonders zu Beginn sehr schwierig, weil ich beim Erzählen in diese Emotionen hineinkomme, die ich damals hatte. Wobei ich sagen muss, dass der Tod meines Bruders für mich am einfachsten zu verarbeiten war. Für die Mutter war diese Tragödie viel schwieriger zu verarbeiten. Sie hat ihr Kind am Ende der Welt verloren, ohne Bilder dazu, ohne Leiche. Wir Menschen finden keine Ruhe, bevor wir unsere Toten begraben haben. Die Mutter kommt im Film sehr stark rüber.

Wie oft haben Sie in Ihrer Bergesteiger-Karriere dem Tod ins Auge geblickt?

Messner: Bei extremen Touren vielleicht ein halbes Dutzend Mal.

Was treibt Sie trotzdem immer wieder an?

Messner: Im Grunde ist es nicht erklärbar. Gottfried Benn hat vielleicht die beste Aussage dazu getroffen: "Bergsteigen ist am Tod provoziertes Leben". Es ist ein intensives Leben, gerade weil es lebensgefährlich ist. Im Grunde ist es völlig schizophren, dass jemand dorthin geht, wo er sterben müsste, um nicht zu sterben. Es ist dann nicht willentliches Spiel mit dem Tod; es ist emotionale, sogar instinktive Lebenskunst.

Im Film kommt die Frage auf, ob Bergsteiger Künstler sind. Sind Sie ein Künstler?

Messner: Das Bergsteigen hat ein künstlerisches Element. Ich sehe mich als Kletterer der Kunst verwandter als dem Sport. Wir sind selbst Gestalter unseres Tuns, im Gegensatz zum Sportler, der gegen einen Konkurrenten in die Piste geschickt wird, weil sich jemand die Olympiade ausgedacht hat. Der Bergsteiger stellt sich vor, wie, wo, wann er an dieser oder jener Wand klettert, vor allem, wenn sie noch niemand hochgestiegen ist. Und dann realisiert er diese Idee. Wenn ich eine Linie durch eine Wand lege, ist das ein schöpferischer Akt.

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