Berlin ganz unten

TRIER. Zu einer temporeichen und äußerst kurzweiligenU-Bahnfahrt lud das Jugendclub-Ensemble des Theaters Trier sein Publikum mit der Premiere des Musicals "Linie 1" in der Tufa ein.

 Szenen einer U-Bahn-Fahrt bot der Jugendclub des Theaters Trier mit dem Musical "Linie 1".Foto: Willi Speicher

Szenen einer U-Bahn-Fahrt bot der Jugendclub des Theaters Trier mit dem Musical "Linie 1".Foto: Willi Speicher

Berlin ohne sein U-Bahn-Netz ist ähnlich unvorstellbar wie Paris ohne den Eiffelturm. Das galt auch schon, als die heutige Hauptstadt noch durch eine Mauer getrennt war. Eine Art Mikro-Kosmos hat sich über die Jahre rund um die U-Bahn-Stationen gebildet. Dem Komponisten Birger Heymann und Volker Ludwig, Leiter des legendären Grips-Theaters, war dieses spezielle Eigenleben 1986 ein Rock-Musical wert. Unter dem Titel "Linie 1" hat sich das ausschließlich mit deutschen Text- und Gesangseinlagen komponierte Werk seit seiner Uraufführung vor 17 Jahren in Ludwigs Berliner Grips-Theater zum bestbesuchten Theaterstück im deutschsprachigen Raum entwickelt. Chef-Dramaturg Alexander Etzel-Ragusa, dem grundsätzlich bei der Auswahl seiner Stücke für den Jugendclub - Talentschmiede des Theaters Trier - wichtig ist, "dass sie mit dem Erfahrungs-Horizont der Jugendlichen übereinstimmen", nutzte in weiten Teilen die Vorlage Ludwigs. Gleichwohl hat er dem Stück, das in einer Zeit entstand, in der die heranwachsende Jugend noch stärker geprägt war von Einflüssen etwa durch die Friedensbewegung oder antiautoritäre Erziehung, aktuelle Akzente hinzugefügt. Ein musikalisch untermaltes Potpourri - im wörtlichen Sinne - farbiger Szenen in der U-Bahn-Linie 1 sowie an unterschiedlichen U-Bahn-Stationen erlebt das Trierer Publikum. Durch den Rhythmus gleichgeschaltete Fahrgäste plaudern singend von der Anonymität im Abteil und von vergeblichen Kontaktaufnahmen mit ihren Sitznachbarn. Beim Ausflug der Familie mit der "1" bleibt zwischen Nollendorfplatz und Halleschem Tor die Harmonie auf der Strecke, als die beiden unerzogenen Gören einen Streit vom Zaun brechen. Eingeflochten in zwölf Einzelbilder ist die Rahmenhandlung um die junge Lisa aus der Provinz Trier, die auf der Suche nach ihrer vermeintlich großen Liebe Johnny mehr oder weniger angenehme Begegnungen rund um die "1" erlebt.Anleihen bei der U-Bahn in Japan

Auch wenn sich Alexander Etzel-Ragusa weitgehend an die Vorlage gehalten hat, lässt er die Bahn zwischenzeitlich auf einer anderen Zeitschiene laufen: So ist beispielsweise von der Gas-Einleitung nach japanischem Vorbild die Rede, und die Berliner Mauer ist in der Trierer Inszenierung gefallen. "Ossi- und Wessi-Tussi" schleudern sich Vorurteile um die Ohren. Vorurteile - in erster Linie gegen Ausländer - spielen auch in weiteren Szenen-Bildern eine Rolle. Beim Anblick farbiger Fahrgäste singt die "Jungle"-Polizei: "Sind wir denn ein Ratten-Nest? Berlin ist schon genug verseucht."Die deftige Sprache hat Etzel-Ragusa seinen rund 50 - teilweise sehr talentierten - Darstellern gelassen - empfindlichere Gemüter sollten die Texte nicht auf die Goldwaage legen. Bei der Inszenierung glänzt der Trierer Chef-Dramaturg einmal mehr mit einfachen und effizienten Einfällen, besticht durch eine temporeiche und wohl durchdachte Choreografie. Das Ensemble sowie die fünfköpfige Band werden vom Publikum mit lang anhaltendem Beifall belohnt. Die nächsten Aufführungen: 1., 2., 9., 10., 11., 16., 18., 28. und 29. Mai in der Tufa; Karten: (0651) 718-1818. mar

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort