Bibelworte auf Breitwand

Die Zuhörer in der fast voll besetzten Konstantin-Basilika waren hingerissen. Selten ist Mendelssohns "Elias" in Trier derart prunkvoll und klangmächtig realisiert worden - zum ersten Mal übrigens unter einem neu gebauten Schalldeckel. Ein markanter Abschluss der Mosel Festwochen.

Trier. Der Beginn klingt wie ein Portal von überwältigender Größe und imponierender Ausstrahlungskraft. Der Elias von Klaus Mertens kündigt die Naturkatastrophe mit unübertrefflicher Deutlichkeit, Souveränität und Autorität an. Das Philharmonische Orchester Trier lässt alle Theater-Routine weit hinter sich und zeichnet in der folgenden Ouvertüre die Verbindung von altertümlicher Fugenkunst und moderner Dramatik feinnervig nach. Und dann der Chor. Welch eine Wucht, welch eine Deutlichkeit, welch ein leiderfülltes Pathos!

Der Trierer Bachchor und der Kammerchor des Luxemburger Konservatoriums (Pierre Nimax) geben dem Eingangssatz und dem gesamten Werk eine Strahlkraft und Würde mit, die die Hörer zutiefst beeindrucken. Sie glänzen mit Reinheit, Deutlichkeit, Kultur und einer stellenweise fast aggressiven Präsenz, sie sind eine Säule der Aufführung.

Neben Klaus Mertens haben alle Solisten es schwer



Dirigent Martin Bambauer hat ganz auf die Wirkungskraft des Mendelssohn-Oratoriums gesetzt. Im Raum der Konstantin-Basilika spielt sich ein heilsgeschichtliches Drama ab - im Kleinen mit der Auferweckung eines toten Kinds und im Großen mit dem Kampf des Elias gegen die Gottlosigkeit einer fremden Kultur und die Gottvergessenheit der eigenen. Bambauer spannt über das gesamte Werk einen großen Ausdrucksbogen, dringt auf schnelle Tempi, meidet in den "stillen" Episoden sorgfältig alle Süßlichkeit. Seine Interpretation bildet Mendelssohns Musik ab wie auf einer Breitwand. Sie hätte vielleicht lyrischer werden können, inniger, reicher an Ruhepunkten und zeitweise auch visionärer. Kaum könnte sie jedoch dramatischer sein, bildkräftiger, spannungsreicher, prunkvoller und klangmächtiger. Und dass die vorzügliche Jugendkantorei des Trie-rer Doms den Engelsgesang im zweiten Teil ("Hebe deine Augen auf") rein und hell von der Rückwand der Basilika anstimmt und in den Raum hinein singt, fügt sich perfekt ein in die vorsichtige Theatralik dieses Konzepts.

Und dann, immer wieder, Klaus Mertens. Neben ihm haben es die übrigen Solisten schwer: Sopran Cornelia Samuelis, immerhin mit knabenhaft schlanker Tongebung, Altistin Dagmar Linde mit Ausdruckswillen und Tenor Marcus Ullmann mit schöner, lyrischer Mittellage (und, nicht zuletzt, der mutige Knabengesang von Konstantin Konkol im "Regenwunder"). Mertens, einer der besten in dieser Rolle, einer, der perfekt intoniert, vorbildlich mit der Sprache umgeht, seine Stimme färben und anpassen kann und dem auch die Spitzentöne unforciert und frei von baritonalen Eindunklungen gelingen - dieser große Sänger verleiht dem Elias nicht nur prophetische Kraft.

Elias - prophetisch und zweifelnd zugleich



Bei ihm klingt auch das Schwankende an, das Mendelssohn dieser Figur mitgegeben hat, das Angstvolle, Wütende, Verzweifelte, Resignierte, am Ende die stille Hoffnung.

Denn eins wird bei Mertens ganz deutlich: Dieser Elias vollbringt die Wunder nicht aus eigener Vollmacht, sondern kraft einer göttlichen Sendung, die jederzeit zu widerrufen ist. Er vollbringt Heilstaten, aber er ist ein Mensch wie alle. Er verweist auf den Anbruch des göttlichen Reichs, aber er verkörpert ihn nicht.

Das Heil, das Chöre und Orchester im großen Sanctus ("Heilig, heilig") so eindringlich beschwören, ist Hoffnung, nicht Realität. Und auch der eindrucksvoll realisierte letzte Chor ist nicht Abschluss, sondern Ausblick - ein Portal wie der Beginn.

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