Bildmächtig, beklemmend und gegenwärtig

Trier · Als Tanzgastspiel hat das Theater Trier in Kooperation mit Renegade in Residence am Schauspiel Bochum Susanne Linkes "Ruhr-Ort" gezeigt. Auch aktualisiert hat das legendäre Stück nichts an Eindringlichkeit verloren. Am Samstagabend (siehe zweiter Text unten) legte das Phiharmonische Orchester einen hochemotinalen Saisonauftakt hin.

 Maloche im Revier: Susanne Linkes legendäres Tanzstück „Ruhr-Ort“ hat auch in seiner Neuberarbeitung, die am Freitag als Gastspiel am Theater Trier gezeigt wurde, nichts von seiner Kraft verloren. Foto: Bettina Stöß

Maloche im Revier: Susanne Linkes legendäres Tanzstück „Ruhr-Ort“ hat auch in seiner Neuberarbeitung, die am Freitag als Gastspiel am Theater Trier gezeigt wurde, nichts von seiner Kraft verloren. Foto: Bettina Stöß

Foto: Bettina Stoess (g_kultur

Trier. Hinter grauen schmutzigen Nebelschwaden taucht ein eiserner Vorhang auf. Kalt und bedrohlich wirkt die düstere Szenerie. Aus dem Dunkel der Bühne robbt ein Körper hervor, windet, dreht und verkeilt sich in sich selbst, wächst aus sich heraus und greift als Arm oder Bein in die Leere.
Es ist ein ungeheuer starkes Bild, mit dem Susanne Linkes "Ruhr-Ort" beginnt. Und es folgen noch weitere. Wie das der Männer, die mit ihren schweren Hämmern, deren Stiele wie feurige Eisenstangen glühen, auf eine Stahlplatte eindreschen, bevor sie, wie eine geballte Ladung Kraft und Wut, darauf auf der Stelle laufen. So laut, als ob ein Heer im Anmarsch wäre.
Später werden die Männer im grauen Arbeitsanzug sich prügeln, schreien, sich Straßenkämpfe liefern und hustend (man darf annehmen, mit Staub zerfressener Lunge) am Boden liegen. Dann wieder sitzen sie gemeinsam angelnd am Bühnenrand oder stehen in der "Waschkaul" der Zeche unter der Dusche.
Als Projekt des Fonds "Tanzfond Erbe", einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, hat Susanne Linke ihr legendäres Tanzstück "Ruhr-Ort" von 1991 aktualisiert und neuerlich auf die Bühne gebracht. Wie in Trier zu sehen ist: Es hat weder an Kraft noch an Beklemmendem verloren. Mehr noch: Durch die Kooperation mit der Herner Street-Art Gruppe Renegade hat die Choreographin ihr Stück über den musealen Rang eines Kulturerbes hinaus, in die Gegenwart gehievt.
Für Susanne Linke war Tanz stets existenziell. Auch die Bühne von "Ruhr-Ort" (Frank Leimbach) ist ein Ort, an dem Existenzbedingungen und Befindlichkeiten verhandelt werden und in Geste und Körpersprache geradezu beklemmend Ausdruck finden. Lärm, Gewalt, Gefahr und Erschöpfung bestimmen das Leben der Stahlkocher und Bergarbeiter am "Ruhr-Ort", der mit seiner schwarzen Zeche und seinem Stollenschlund als Video hinten auf der Bühnenwand vorbeizieht. Das ratternde Geräusch der Maschinen, das Schlagen der Hämmer ist seine Musik (Musik: Ludger Brümmer).
Im Räderwerk der Maschinen laufen die Tänzer über die Bühne und werden dabei selbst zu Rädern. Die B-Boys von Renegade mit ihrem Breakdance und ihrem Hip-Hop vergegenwärtigen dynamisch und offensiv nicht nur urbane Straßenkunst. Ihre Street Art steht ebenso für den Protest gegen die grauen Wüsten, die Ödnis und Tristesse der modernen Stadtlandschaft.
"Ruhr-Ort" ist ein ebenso multikultureller Schmelztiegel wie das Ruhrgebiet seit jeher. Sehnsüchtig singt ein Spanier ein heimatliches Lied. Während sich sein deutscher Kollege mit "Wenn ich ein Vöglein wär" aus der Maloche fortsehnt. Eine der intimsten Szenen des Stücks.
Die Choreographin tut gut daran, das historische Bühnenbild beizubehalten. So wird Gegenwart als Entwicklung aus der Geschichte verständlich. Schließlich hat die Schließung der Zechen und Stahlwerke nicht nur blühende grüne Ruhrlandschaften und abgefahrene Kulturzentren in ehemaligen Industriekathedralen hervorgebracht, sondern auch jede Menge gesellschaftlicher Probleme und sozialer Brennpunkte. Bildmächtig, aggressiv in der Bildsprache und (meistens) mit Tempo kommt "Ruhr-Ort" in Trier daher. Ein zweifellos zeitloses Bild, nicht zuletzt angesichts der Gegenwart.

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