Blechsemmeln im Beitrittsgebiet

BIERSDORF. Kurz vor der Halbzeitpause hat das Eifel-Literaturfestival den entscheidenden Treffer gesetzt: Harry Rowohlts Lesung im Dorint-Hotel geriet zum hinreißenden Gesamterlebnis.

Donnerstagabend, kurz vor 23 Uhr: Die Pause ist vorbei, die Lesung noch lange nicht. "Erstaunlich wenig Schwund", bemerkt der Vortragende beim zurückgekehrten Publikum. "Naja - wo wollen Sie denn auch hin?" Das sei eben der Vorteil, sagt Harry Rowohlt, wenn man "im Gebüsch arbeitet". Hier in der Südeifel hat ihn anfangs Eva Gräfin von Westerholt herzlich empfangen und dann Festival-Chef Josef Zierden ausschweifend begrüßt: "Das ist der Olymp", sagt Zierden abschließend mit Blick auf den Übersetzer, Kolumnisten und Lindenstraßen-Akteur, "unter dem wir uns alle tummeln." Olymp, wunderbar, aber Harry Rowohlt setzt noch einen drauf: Das Satiremagazin "Titanic" habe ihn vor drei Monaten schlicht als "Gott" bezeichnet. "Da wären Sie sicher auch gerne drauf gekommen." Überirdisch geht es weiter: Rowohlt liest seine - an diesem Tag veröffentlichte - "Pooh's Corner"-Kolumne vor. Und liefert einen lupenreinen Gottesbeweis. Worin der besteht? Selber lesen! Nur so viel: "Bei uns Agnostikern gibt Er Sich mehr Mühe. Muss Er ja auch." In der Kolumne werden auch die Folgen des Saufens in gebotener Drastik geschildert. Und zack sind wir in Irland: Dort gilt man, erzählt er, erst dann als betrunken, "wenn man nicht mehr ohne fremde Hilfe auf dem Rücken liegen kann". Kurz: ein herrliches Land. "Aber ich fahr' nicht mehr hin. Seit man da in den Kneipen nicht mehr rauchen darf, haben die verschissen." "Der Kampf geht weiter" - so heißt seine Sammlung "nicht weggeschmissener Briefe". Und was es alles zu bekämpfen gibt: die Lokalpresse, leserbriefschreibende Besserwisser, Lektoren, die "seit 462 Jahren" versuchen, die deutsche Sprache zu lernen. Ahnungslose, die ihn immer wieder fragen, ob er etwas mit dem Rowohlt-Verlag zu tun habe. Hat er nicht (mehr). "Und deshalb mache ich auch nie was für den Rowohlt-Verlag. Damit das nicht so aussieht, als sei es im Eigenverlag erschienen." Zurück auf die Insel: Das beste an Irland ist natürlich der Schriftsteller Flann O'Brien (Gesamtwerk übersetzt von Harry Rowohlt), der einmal seine Kolumne in der "Irish Times" dazu missbrauchte, eine Suchanzeige aufzugeben: Er habe sein Portemonnaie verloren. Der ehrliche Finder dürfe das gute Stück gern behalten, "nur am Geld hängen persönliche Erinnerungen". Dann trägt er ein Buch vor. Genau, nicht "aus einem Buch", sondern den ganzen Text von "John Rock oder der Teufel", mit Zeichnungen von Peter Gut. "Aber die Illustrationen lese ich nicht vor." Statt dessen macht er aus dem (netto) luftige 20 Seiten umfassenden Text samt Anmerkungen und etlichen seiner berühmten Abschweifungen eine grandiose Darbietung. Außerdem: Zwei amtlich ausländerfeindliche Witze, ein nicht-schweinischer Arztwitz ("der einzig mir bekannte"), drei mehrsprachig gesungene Hymnen, Anekdoten aus Familie und Kulturbetrieb, Gedichte und echte Lebenshilfe. Wie man zum Beispiel mit Handy-Plapperern umgeht? "Ganz nah rangehen und sagen: Komm zurück ins Bett, mir ist kalt!" Außerdem lernen wir, dass Bierdosen im Beitrittsgebiet "Blechsemmeln" heißen. Zurück zur Hilfe von ganz oben: Wer allein dadurch, dass er den Stadtnamen "Dortmund" korrekt (also ohne "t") ausspricht, einen Riesenlacher erzielt, der muss begnadet sein. Um 0.20 Uhr ist Schluss. Josef Zierden hat, dank Rowohlt, einen neuen Titel: Der James Joyce von Prüm. Und den Dreikampf "zwischen Mann, Bier und Whiskey" (Zierden) hat keiner der Kombattanten gewonnen. Sondern das Publikum. Prost - oder: Sláinte! Zu Gast ist am Dienstag, 6. Juni, 20 Uhr, im Amtsgericht Bitburg und am Mittwoch, 7. Juni, 20 Uhr in Mayen ("Fridolin Event-Garage") Ausbrecherkönig und Millionendieb Ludwig Lugmeier.

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