Blutiger Teufelskreis

Trier · "Aus Leiden lernen" heißt es bei Aischylos. Wie man sich aus dem Teufelskreis der Blutrache befreit, demonstrierte Alexander Mays "Orestie" dem Premieren-Publikum am Samstag im Theater Trier. Dabei geriet der erste Teil besonders dicht und ergreifend.

 Verzweifelt und überfordert: Barbara Ullmann als Pallas Athene bei der Premiere von „Die Orestie“ im Theater Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Verzweifelt und überfordert: Barbara Ullmann als Pallas Athene bei der Premiere von „Die Orestie“ im Theater Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Schon die rot-weißen Absperrbänder vor den schwarzen Mauern signalisieren: Vorsicht! Dies ist entweder eine Baustelle oder ein Tatort. Der Königspalast von Mykene ist beides. Zunächst ist er allerdings ein Schlachthaus. Entsprechend viel Theaterblut fließt auch im Trierer Theater, wo die Geschichte des Königssohns Orest erzählt wird, der seine Mutter Klytaimnestra tötet, um den Vater Agamemnon zu rächen. Den hatte bekanntlich seine untreue Frau vorher erschlagen.
Alexander May hat die gewaltige Trilogie des griechischen Dichters Aischylos vom Teufelskreis der Blutrache in zwei Stunden zusammengefasst. Unterstützt wurde der Regisseur dabei vom Trie-rer Chefdramaturgen Peter Oppermann. Zugrunde gelegt haben die beiden Theatermacher die deutsche Übertragung von Peter Stein.
Mays Destillat konzentriert sich auf die Kernsubstanz der Trilogie: die Mordserie und die Umwandlung des archäischen göttlichen Gesetzes der Blutrache "Schuld um Schuld" in das geordnete Gerichtsverfahren einer Bürgergesellschaft. Dabei gelingt dem Regisseur gerade im ersten Teil eine ungeheuer dichte Inszenierung. May macht ebenso ergreifend wie beklemmend das Wesen des Tragischen erfahrbar. Was auf Gerd Friedrichs eindrucksvoller, sparsamer Bühne vor und hinter den gruftigen Mauern des Palasts verhandelt wird, geht weit über den zwanghaften, hirnlosen Mechanismus der Blutrache hinaus. In eine moderne Gegenwart verweist das schaurige Geschehen, in der sich täglich bestätigt, was schon Aristoteles wusste: Gut und Böse ergeben kein Schwarz-Weiß-Bild.
Täter und Opfer zugleich


In Mays Inszenierung ist jeder Täter wie Opfer. Seine Königsfamilie braucht kein schädelspaltendes Beil. Ihre Mitglieder verbluten längst an sich selbst. Leider gelingt die Wendung zur Demokratie im dritten Teil der Trilogie, den "Eumeniden", nicht annähernd so dicht, auch wenn die Bilder schlüssig bleiben.
Von Anfang an hatte der Steg ins Publikum mit seinem Wachturm verdeutlicht: Hier ist Bürgerbeteiligung gefragt. Als Stimme des Volkes kommentiert zudem der Chor der Ältesten von Argos die Vorgänge in Stadt und Palast. Allerdings: Die Beklemmung, die den notwenigen Wandel so dringlich spürbar machte, wird leider nicht über die Pause gerettet und somit bleibt auch die Erleichterung am Ende aus.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Mischung aus Theatralik und Komik zu schrill daherkommt und die Verzweiflung zu dick aufträgt. Keine Frage: Die alten Götter sind ein lächerliches Auslaufmodell, auf das man sich besser nicht verlässt. So wie Superman Apollon (Klaus-Michael Nix in der Doppelrolle Apollon und Wächter), der im Fesselballon herabschwebt. Oder Pallas Athene (Barbara Ullmann), die mit Call-Center-Stimme aus dem Götter-Off spricht, bevor sie als golden gepanzerte Superfrau (Kostüme Carola Vollath) erscheint, ihre Überforderung erkennt und mit den befriedeten Erinnyen eine WG aufmacht.
Für die finale Gerichtsverhandlung, die Orest als freien Mann entlässt (er richtet sich - anders als bei Aischylos - selbst), holt sich May Damen und Herren aus dem Publikum als Geschworene auf die Bühne. Nach Vollzug gönnt sich die junge Demokratie erst mal ein Gläschen Sekt.
Eindrucksvolles leisten die Schauspieler: Jan Brunhoeber ist ein anrührend schuldig unschuldiger Orest, ein ratloser Hamlet der Antike. Sabine Brandauer schafft als Klytaimnestra überzeugend den Wandel von einer nuttigen Schlange, zu einer Frau, die von Angst und Rachsucht getrieben wird und verzweifelt ihr Tun zu rechtfertigen versucht. Tim Olrik Stönebergs Agamemnon ist ein verschlagener Macho, der sich als Kriegsbeute die Seherin Kassandra (ebenfalls Barbara Ullmann) mitgebracht hat und dem man jederzeit zutraut, dass er seinerzeit des Kriegsglücks wegen die eigene Tochter Iphigenie ans Messer lieferte. Als Klytaimnestras Geliebter Aigisthos hat Lutz Faupel mit Agamemnons Familie noch eine alte Rechnung offen. Orests zarte Schwester Elektra ist Alina Wolff. Eine der stillsten und dabei bewegendsten Szenen ist die Ankunft des Herolds. Marvin Rehbocks Miniauftritt ist großes Theater. Was sich im Hause Agamemnons zusammenbraut, macht Maria Kulowskas Cello subtil als Klang hörbar. 600 Zuschauer applaudierten anhaltend.

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