Brillantes Schauspielertheater bei "Das Interview" von Theo van Gogh in Luxemburg

Luxemburg · Ein zynischer Journalist und ein Seifenoper-Starlet in einem Interview, das zum Psycho-Duell mutiert: Mit seinem neuen Stück liefert das Luxemburger Kasematten-Theater einen atemberaubend spannenden Kampf mit immer neuen Wendungen.

Eine runde zwölf Quadratmeter kleine Spielfläche mitten im Saal. Als Requisiten nur ein Stuhl und eine Gin-Flasche. Das kleine Kasematten-Theater gut gefüllt, das Publikum zu drei Vierteln weiblich. Weil sich Frauen mehr für Beziehungsdramen interessieren? Oder weil zeitgleich Borussia Dortmund in der Champions League spielt? Es ist ein Abend der offenen Fragen.
Der Versager und die Versehrte


Ein Mann und eine Frau. Ein Versager und eine Versehrte. Jedenfalls scheint es so, wenn sie sich selbst beschreiben. Der Journalist Pierre - von Steve Karier brillant als müder alter Mann gespielt, dem der Lebensüberdruss aus jeder Pore quillt. Und Katja, Fernseh-Vorabend-Promi, von der enorm präsenten Fabienne Elaine Hollwege weitab vom Blondie-Dummchen-Klischee angelegt, wie es die meisten Inszenierungen dieses Stücks pflegen.
Er will nicht mit ihr reden, sie nicht mit ihm. Polit-Reporter Pierre empfindet den Auftrag, eine Klatschgeschichte über das Starlet zu schreiben, während gleichzeitig die Regierung zurücktritt, als unter seiner Würde. Und Katja fürchtet, einmal mehr Objekt journalistischer Schlagzeilengier zu werden, die sich für Wahrheit nicht interessiert.
Aber offenbar gibt es trotzdem Gesprächsbedarf. Und aus dem Treffen eines arroganten Arschlochs mit einer zänkischen Zicke wird unversehens ein gnadenloses Duell, das den Zuschauer im Minutentakt von einer Parteinahme in die andere reißt. Ehrlichkeit ist dabei eine Ware mit kurzem Verfallsdatum: Keines der Gefühle, keine der Geschichten, die die Medienprofis sich und dem Publikum präsentieren, muss echt sein.
Regisseur Pol Cruchten, sonst meist im Kino zu Hause, verzichtet auf alle filmischen Elemente, zeichnet eine 75-minütige permanente Nahaufnahme. Pierre und Katja belauern und umgarnen sich, sie demontieren sich und bauen sich auf, betrügen sich und spiegeln sich, exhumieren genüsslich die Leichen im Keller des jeweils anderen. Er ist der Vater, den sie nie hatte, sie ist die Tochter, die ihm weggestorben ist. Oder ist auch das alles nur Fake?
Keine einfachen Antworten


Kaum hat man das Gefühl, der Machtkampf könne doch in einem Friedensschluss enden, fliegt der nächste Giftpfeil von Schützengraben zu Schützengraben. Er verschanzt sich hinter den Gräueln, die er im Krieg erleben musste. Sie trägt ihre Erfolgsquoten wie einen Schild vor sich her. Moral gegen Markt? Kultur gegen Kommerz? Autor Theo van Gogh, nach dessen Film das Theaterstück entstanden ist, verweigert einfache Antworten.
Das Schauspielertheater par excellence steigert sich einem Finale der Überraschungen entgegen, das dem ereignisreichen Ende des Dortmunder Champions-League-Spiels in keiner Weise nachsteht. Das Publikum folgt atemlos, bis sich die Spannung am Ende in langem Beifall entlädt. DiL
Weitere Vorstellungen am 11., 12., 16., 18. und 23. April. Das Kasemattentheater liegt in der Nähe des Luxemburger Hauptbahnhofs in der Rue des Puits, Parkplatz neben dem Haus. Nähere Infos, Tickets, Anfahrtplan: www.kasemattentheater.lu

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort