Brötchen, Bilder, Bauchgefühl

Trier · Johanna Ey, bekannt als "Mutter Ey", war in den 1920er Jahren eine bedeutende Galeristin und Förderin moderner Malerei. Zahlreichen Künstlern von der Düsseldorfer Kunstakademie verhalf sie zu ersten Erfolgen. Die Eifeler Autorin Ute Bales hat Ey einen biografischen Roman gewidmet.

Trier. Wäre Ute Bales Drehbuchschreiberin, ihr Werk wäre ein Beispiel für "Dokufiction": authentische Personen, reale Sets, eine Handlung, die sich zum größten Teil an der Wahrheit orientiert. Die Autorin aus der Eifel hat sich einer Düsseldorfer Größe gewidmet, die zwar schon knapp siebzig Jahre tot, doch nach wie vor genauso populär wie andere lokale Berühmtheiten ist: Schneider Wibbel, Heinrich Heine, der Komponist Norbert Burgmüller - ja, selbst die Toten Hosen, die im "Ratinger Hof" erste Karriereschritte taten. Wenn auch zeitlich versetzt, so haben sie doch quasi als Nachbarn gelebt und gewirkt in dem Areal zwischen Rheinufer und der heutigen Heinrich-Heine-Allee, vormals Hindenburgwall: der Düsseldorfer Altstadt.
Durch die ist Ute Bales oft geschlendert, um die Atmosphäre für ihren biografischen Roman zu schnuppern: "Natürlich ist nichts mehr so wie damals", erklärt sie im Gespräch mit dem TV. "Aber wenn man genau hinschaut und der Fantasie freien Lauf lässt, kriegt man schon ein Gefühl dafür, wie es damals ausgesehen haben mag."
Johanna Ey, 1864 in Wickrath, heute ein Stadtteil von Mönchengladbach, in ärmlichen Verhältnissen geboren, hatte von Kunst keine Ahnung. Und auch gar nichts damit am Hut, als sie nach kurzer unglücklicher Ehe in Düsseldorf eine Bäckerei in der Nähe der Kunstakademie eröffnete.
"Diese Frau ist ein Phänomen", begeistert sich die Autorin. "In ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen und nach einer katastrophalen Ehe, in der sie zwölf Kinder bekam, von denen vier überlebten, hat sie sich mit ungeheurer Energie eine eigene Existenz geschaffen, um für den Rest ihres Lebens unabhängig zu sein." Immer mehr hungernde Studenten fanden den Weg in ihre Bäckerei. Es hatte sich unter ihnen herumgesprochen, dass man bei "Mutter Ey" anschreiben lassen konnte für Brot und Kuchen, Kaffee und Likör, die sie inzwischen auch in ihrer Backstube servierte, denn damit ließ sich Geld verdienen.
Allerdings nicht bei den hoffnungsvollen Malern. Die fanden keine Käufer für ihre avantgardistischen Werke, die so gar nichts mit röhrenden Hirschen, üppigen Blumensträußen, Heiligen und Engeln zu tun hatten, welche sich die Bürger gern übers Kanapee oder die Betten hängten. Also "bezahlten" sie Johanna Ey mit ihren Gemälden. Sobald das Bild verkauft sei, tröstete man die Bäckersfrau, werde sie ihr Geld bekommen.
So füllte sich deren Backstube im Laufe der Monate mit Bildern, bis sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als parallel zum Brötchenverkauf eine Galerie einzurichten. Und als ihr eines Tages ein kunstsinniger Brotkäufer für einen "frühen Wollheim" die sagenhafte Summe von 100 Mark bot, hatte Johanna Ey Blut geleckt: Fortan verkaufte "das große Ey" Bilder und Brötchen - und gehörte dank ihrer florierenden Galerie mit zu den Begründern von Düsseldorfs Ruf als Stadt der Kunstavantgarde.
Da kann man sich natürlich vorstellen, was passierte, als der braune Schlamm das Land erstickte: Der Kunstladen wurde geschlossen, die Nazis vertrieben die Maler oder ermordeten sie, und Ey selbst fand Unterschlupf bei ihrer Tochter in Hamburg. Als sie nach dem Krieg an den Rhein zurückkehrte, erlebte sie zwar eine kurze Renaissance, konnte jedoch nicht an die alten Erfolge anknüpfen. Am 27. August 1947 ist sie 83-jährig gestorben. Eine Straße in der Altstadt und eine Skulptur im nahe gelegenen Spee\'schen Park halten die Erinnerung an sie wach.
Erstmals auf Johanna Ey gestoßen ist Ute Bales beim Schreiben ihres Romans über den Eifelmaler Pitt Kreuzberg, der ebenfalls zum "Jungen Rheinland" und damit zum Ey-Kreis gehörte. "Diese Frau war emanzipiert - obwohl sie mit diesem Begriff wahrscheinlich gar nichts hätte anfangen können", meint Bales. Andere hätten nach Schicksalsschlägen, wie Ey sie erlebte, vermutlich längst resigniert. Immerhin war sie schon in ihren Vierzigern, als sie sich auf das Wagnis einer Kunstgalerie einließ - ohne die geringste Ahnung von Kunst zu haben. "Diese schlichte Frau aus dem Arbeitermilieu hat sich aus dem Bauch heraus ein instinktives Kunstverständnis erarbeitet. Ihr gefiel, was sie sah, und sie war mit ihrem Geschmack der Kunstrezeption um Jahre und Jahrzehnte voraus."
Bales beschreibt das Leben dieser ungewöhnlichen Frau lebendig und mit Empathie, postuliert Authentizität in den dialogreichen Passagen, die Ey mit ihren Schützlingen zeigen: August Macke, Eugen Dücker, Otto Pankok, Adolf Uzarski, Fritz von Wille, Jupp Rübsam, dessen wuchtige Skulpturen - etwa die "Drei Nornen" am Düsseldorfer Nordfriedhof oder die "Marktfrauen" in den Arkaden des Verwaltungsgebäudes am Marktplatz - die Stadt bis heute schmücken.
Doch gerade in diesen Dialogen zeigen sich gewisse Schwächen: Natürlich haben sie so nie stattgefunden; Bales hat die Informationen aus zahlreichen Quellen zusammengetragen und daraus mitunter arg akademisch trockene Diskurse gefertigt, vor allem, wenn die Maler über Kunst im Allgemeinen und ihre Kunst im Besonderen reden.
Doch die zahlreichen Randfiguren, die im Buch erwähnt werden, haben tatsächlich den Lebensweg der Johanna Ey gekreuzt: von der Düsseldorfer Schauspielhausintendantin Louise Dumont bis zum Wachtmeister Westerfeld, von Kay und Lore Lorentz vom "Kom(m)ödchen" bis hin zu Hedwig Mommertz, die Eys Lebenserinnerungen mit einer klappernden Schreibmaschine festgehalten hat.
Ute Bales, Großes Ey. Die Lebensgeschichte der Johanna Ey. Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel, 432 Seiten, 22,80 Euro.

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