Literatur Die abenteuerlichsten Reisen passieren im Kopf
Berlin · Grenzen werden in Corona-Zeiten geschlossen, doch im Kopf kann man überallhin reisen. Bücher helfen dabei.
(dpa) Mit dem Reisen ist es zunächst einmal vorbei in der Corona-Krise. Und doch kann man verreisen: in und mit der Literatur. Reise-Bücher führen nach Rom, auf abgelegene Inseln – und um die ganze Welt. Eine Auswahl.
Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen
Das ultimative Reiseziel? Natürlich die ganze Welt! Der Engländer Phileas Fogg wettet um sein Vermögen, dass er in 80 Tagen einmal um die Erde reisen wird. Mit der Eisenbahn, auf dem Rücken von Elefanten, im Segelschiff und auf Schlitten: Fogg und sein Diener Passepartout lassen nichts aus, verfolgt werden sie vom Detektiv Mister Fix, der Fogg für einen Bankräuber hält. Über Indien geht es nach Hongkong, Yokohama, San Francisco und New York. Schließlich erreichen Fogg und Passepartout wieder London – fünf Minuten zu spät. Die Wette scheint verloren, doch am Ende triumphieren sie. Der Franzose Jules Verne (1828-1905), einer der Begründer der modernen Science-Fiction-Literatur, veröffentlichte „Reise um die Erde in 80 Tagen“ im Jahr 1873. Als Theaterstück und Musical kam der Klassiker auf die Bühne. Die Verfilmung von 1956 mit David Niven (deutscher Titel: „In 80 Tagen um die Welt“) gewann fünf Oscars, darunter als bester Film. 1989 folgte eine Verfilmung als Miniserie mit Pierce Brosnan.
Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus
Im Winter 1801 brach Johann Gottfried Seume (1763-1810) von Grimma bei Leipzig zu Fuß auf und wanderte bis nach Syrakus auf Sizilien, wo er am 1. April 1802 ankam. Auch lief er zurück, wobei er noch einen Abstecher nach Paris machte. Wieder zu Hause, beschrieb er seinen „Spaziergang nach Syrakus“. Das Werk, eine Mischung aus Reisebericht und Reportage, machte Seume zu einem der ersten Reiseschriftsteller. Als Reiseführer taugt das Buch allerdings nicht, denn vom Sightseeing hielt der Autor nichts: „Übrigens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüglich Kabinette und Galerien zu sehen“, schreibt er. Seine Reiseerzählung ist subjektiv, politisch und nah am Alltag, er berichtet aus den Wirtshäusern, von Wegelagern, von den Sitten und Gebräuchen, Bekanntschaften und Gesprächen unterwegs. Schließlich angekommen in Syrakus, sagt er lapidar: „Dies ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wieder nach Hause.“
Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise
„Auch ich in Arkadien!“ – so überschrieb Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) seine „Italienische Reise“. Zwischen 1786 und 1788 reiste der Weimarer Minister nach Italien; das berühmte Gemälde „Goethe in der Campagna“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein zeugt davon. Im Gegensatz zu Seume ging Goethe nicht zu Fuß, sondern reiste mit der Postkutsche – inkognito als Pittore (Maler) Filippo Miller. In „Italienische Reise“ berichtet der Dichter von seinen Eindrücken, das Werk erschien allerdings viel später. Rom, Neapel und Sizilien widmet Goethe den größten Teil seiner Aufzeichnungen. Sein Interesse gilt weniger der italienischen Gegenwart als vielmehr der Antike, den Museen, der Malerei. Er versucht sich auch selbst im Zeichnen, erkennt aber, wie er im Februar 1788 in Rom schreibt, „daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin“. Ein Reiseführer ist Goethes „Italienische Reise“ nicht, vielmehr Teil seiner Autobiografie: „Ihr Thema ist Goethe – Goethe freilich in der Phase seiner für seine Zukunft entscheidenden Begegnung mit dem Süden“, wie der Kunsthistoriker Herbert von Einem kommentierte.
Antal Szerb: Reise im Mondlicht
Antal Szerb (1901-1945) zählt zu den großen ungarischen Autoren. 1937 erschien sein bedeutendster Roman: „Reise im Mondlicht“. Das frischvermählte Paar Erzsi und Mihály ist auf Hochzeitsreise in Italien. Bald beschleichen Mihály Gedanken an ein Ende der Beziehung. Auf einem kleinen Bahnhof bleibt seine Frau versehentlich zurück, und er beginnt eine eigene Reise, die ihn in ein umbrisches Kloster und schließlich nach Rom führt. Er wandert durch die Ewige Stadt, auf den Spuren der verlorenen Jugend und einer vergangenen Liebe – es ist eine Reise zu sich selbst. „Antal Szerb führt uns in eine andere, eine alte Welt – nicht mit seinem Thema oder mit der Handlung, sondern mit seiner Sprache, seiner Denkweise, seinen Ansichten ...“, schrieb sein Landmann, der Schriftsteller Péter Esterházy, über „Reise im Mondlicht“. Szerb wurde 1945 im Lager Balf in Westungarn ermordet.
Jaroslav Rudis: Winterbergs letzte Reise
Altenpfleger Jan Kraus begleitet Schwerkranke am Ende ihres Lebens. So gerät er an den hochbetagten Wenzel Winterberg, und der hat noch etwas vor: Er will eine letzte Reise antreten, auf der Suche nach einer verlorenen Liebe. Mit der Eisenbahn reist das seltsame Duo von Berlin über Reichenberg (Liberec), Prag, Wien und Budapest bis nach Sarajevo. Ihr Reiseführer ist der Baedeker von 1913 für Österreich-Ungarn, aus dem Winterberg ausgiebig vorliest. Jaroslav Rudis (geboren 1972) gehört zu den interessantesten tschechischen Autoren der Gegenwart. „Winterbergs letzte Reise“ ist sein erster Roman, den er auf Deutsch verfasste. Er ist zugleich eine Reise durch die Geschichte Mitteleuropas, von der Schlacht von Königgrätz 1866, in der Preußen Österreich besiegte, über das Attentat von Sarajevo 1914, das den Ersten Weltkrieg auslöste, bis zum russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968.
Jack Kerouac: On The Road
Sex, Drogen, Bebop: Jack Kerouac (1922-1969) wurde mit „On The Road“ (1957; deutsch: „Unterwegs“) zu einem der wichtigsten Vertreter der Beat Generation. Dean Moriarty und der Erzähler Sal Paradise reisen kreuz und quer über den nordamerikanischen Kontinent, immer auf der Suche nach Party, Freiheit und Glück. Sie trampen, fahren auf Güterzügen und in Lastwagen mit und brausen mit dem Auto über den Highway. Kerouac fing das Lebensgefühl einer Subkultur ein, die aus der Perspektive von Außenseitern auf die amerikanische Gesellschaft sah. Er schrieb den Roman 1951 innerhalb von drei Wochen auf einer 40 Meter langen Rolle Endlospapier – ein halbes Jahrhundert später wurde diese Rolle für fast 2,5 Millionen Dollar versteigert. „On The Road“ hat autobiografische Züge, so entspricht Moriarty seinem Freund Neal Cassady, andere Figuren lassen sich als die Schriftsteller Allen Ginsberg und William S. Burroughs identifizieren, Erzähler Sal Paradise ist Kerouac selbst. Der Roman hat die amerikanische Literatur nachhaltig beeinflusst.
Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln
Wer ganz weit weg will von allem, für den könnte der „Atlas der abgelegenen Inseln“ von Judith Schalansky das Richtige sein. Die vielfach preisgekrönte Autorin (Jahrgang 1980) hat 50 entlegene Inseln gesammelt, weit entfernt von Menschen, Flughäfen und Reisekatalogen. Zu jeder Insel gibt es eine Prosa-Miniatur. Der „Atlas der abgelegenen Inseln“ wurde von der Stiftung Buchkunst 2009 zum „Schönsten deutschen Buch“ gekürt. Der Verlag mare sagt zu dem Atlas: „Damit entführt uns Judith Schalansky zu 50 entlegenen Orten – von Tristan da Cunha bis zum Clipperton-Atoll, von der Weihnachts- bis zur Osterinsel – und beweist, dass die abenteuerlichsten Reisen immer noch im Kopf stattfinden: mit dem Finger auf der Landkarte.“