Buh-Rufe für Lady Gaga

Ein Buh-Konzert gehört nicht zum üblichen Repertoire des Trierer Theater-Publikums. Aber nach der Premiere von Verdis Oper "Macbeth" musste sich Regisseur und Intendant Gerhard Weber gleich zwei Mal die Missfallenskundgebungen vieler Zuschauer anhören. Sänger, Chor und Orchester wurden dagegen bejubelt. Beide Reaktionen waren berechtigt.

Trier. Fangen wir mit dem an, was diesen Abend vor einem Absturz bewahrt. Victor Puhl und das philharmonische Orchester begeistern mit einem eindrucksvollen, mit Saft und Kraft gespielten, musikalisch hochklassigen Verdi. Da verbreiten die Blechbläser gepflegten Grusel, die Streicher wühlen Spannung auf, die Schlagzeuger treiben das Tempo rhythmisch an. Puhl erfasst im Zusammenwirken mit den starken Sängern und dem kompakten Chor den musikalischen Kern des Stücks, die filigrane Umsetzung von Stimmungen in Musik, die Feinheit von Verdis psychologischen Porträts. Mit geschlossenen Augen ist der Abend ein Genuss.

Szenisch hingegen gibt es ein buntes, substanzloses Tralala mit verhängnisvoller Neigung zur Revue-Ästhetik. Alles Unlogische, Unausgegorene, Läppische aufzuzählen, würde die Dimension einer Besprechung sprengen. Der Regie fehlt Hand und Fuß.

Natürlich muss Schottland nicht Schottland, der Wald kein Wald, die Hexen keine Hexen und das Schloss kein Schloss sein. Es gibt etliche "moderne" Macbeth-Inszenierungen, die überzeugen. Weil das zeitgenössische Ambiente geheimnisvoll bleibt, bedrückend, verstörend. Ohne mythischen Raum funktioniert Macbeth nicht.

Halligalli am Airport und im Fernseh-Studio



In Trier gibt es Halligalli am südamerikanischen Flughafen, Cheerleader schwingen ihre Puschel, Reporterinnen ihre Mikrofone und Macbeth eine aus "Quo vadis" restgebliebene Weltkugel. König Duncan wird scheinbar im Airport-Hotel gemeuchelt, Macbeth kokst, die Hexen sind mal Putzfrauen, mal Fernsehballett. Lauter beliebige Versatzstücke, dazu Charaktere, so holzschnittartig wie Kinderspielzeug aus China. Selbst Rambo darf nicht fehlen, kein Klischee ist zu peinlich, um nicht zitiert zu werden.

Die Schauplätze sind manchmal geradezu dadaistisch (Bühnenbild: Claude Stephan): Der Mord an Banco findet in der Strandbar statt, die gleich neben einer Ölquelle (!) liegt, während vom Himmel Totenköpfe schweben. Lady Macbeth: eine schrille Tussi, die sich an Mord und Totschlag aufgeilt. Fragt sich nur, warum sie infolge der Tat dann doch wahnsinnig wird.

Verdi erklärt das durch seine grandiose Musik, etwa in der düsteren Arie "La luce langue", geprägt von Ahnungen der Katastrophe. In Trier trollt die Lady dabei auf einer Strandliege und lässt sich von einem halbnackten Kellner betatschen, was dann schrille Klänge hervorlockt. Wie überhaupt die Regie offenbar geradezu obsessiv dem Irrtum unterliegt, Verdi habe hohe Töne für Sopranistinnen stets als Ausdruck sexueller Erregung komponiert. Unwillkürlich stellt sich da der Wunsch ein, der sonst in seiner Personal-Auswahl sorgfältige und erfolgreiche Intendant Gerhard Weber würde den gleichnamigen Regisseur künftig von Opern fernhalten und stattdessen Leute verpflichten, die ein Minimum an Gefühl für diese Kunstform haben.

Es tut einem vor allem leid für die Sänger, deren verdienter Szenenbeifall oft schütter ausfällt, weil das Publikum noch den Kopf schüttelt über die Kapriolen und Mätzchen der Szenographie. Besonders Vera Wenkert muss mit ihrer wuchtigen, rohen und deshalb für die Lady Macbeth bestens geeigneten Stimme gegen das Bewegungsrepertoire von Lady Gaga ansingen, das ihr die Regie aufnötigt. Das soll vielleicht sinnlich sein, ist aber eher sinnfrei. Ein Schuss Sadomaso, ein bisschen Selbstbefummelung: Mag sein, dass das auf jüngeres Publikum zielt. Aber penetrante Anbiederung an vermeintliche Jugend-Ästhetik wirkt gerade bei dieser Zielgruppe nur peinlich.

Wenkert meistert allen Widrigkeiten zum Trotz mit Verve die schwierige Partie, setzt starke dramatische Akzente. Und auch Laszlo Lukacs liefert eine markante, sängerisch disziplinierte, darstellerisch präsente Titelfigur - seine beste, konzentrierteste, auch vom Timing her am präzisesten angelegte Rolle seit langem.

Die Chöre zeigen großes musikalisches Kino



Pawel Czekala gibt rundherum überzeugend den alten Haudegen Banco, Svetislav Stojanovic holt sich mit der berührend vorgetragenen, vielleicht eine Spur zu schluchzigen Arie des Macduff den tosendsten Applaus des Abends. Die Chöre aus Metz und Trier laufen nach leichten Tempo-Problemen am Anfang zu großer Form auf. Das Entsetzen nach der Ermordung des Königs, der Schmerz der Heimatvertriebenen: Das ist großes musikalisches Kino, und es zeigt, dass Macbeth zu den wichtigsten, reifsten Werken Verdis gehört. Dafür sollte man auch die szenischen Unzulänglichkeiten in Kauf nehmen.

Im Spielplan: 28. September; 1., 17., 24., 30. Oktober; 3., 7., 14. November; 3., 5. Dezember.

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