Chaotisch geht die Welt zugrund’

Trier · In "Anatomie eines fanatischen Übergriffs" nimmt die Schauspielgruppe Club Szenenwechsel das Thema Fanatismus in allen Aspekten auseinander. Der Abend, der daraus entsteht, ist an Skurrilität schwer zu überbieten.

 Klassisch oder modern? In einer simulierten Probe streitet sich die Gruppe darüber, was als nächstes aufgeführt werden soll: die antike Komödie „Lysistrata“ oder ein modernes Episodenstück über Fanatismus? TV-Foto: Katharina Hahn

Klassisch oder modern? In einer simulierten Probe streitet sich die Gruppe darüber, was als nächstes aufgeführt werden soll: die antike Komödie „Lysistrata“ oder ein modernes Episodenstück über Fanatismus? TV-Foto: Katharina Hahn

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Trier Plötzlich steht ein junger Mann aus den hinteren Reihen auf. Verärgert ruft er: "Was? Für diesen Scheiß hier habe ich 14 Euro gezahlt? Ich will richtiges Theater sehen. Keine ganz normalen Leute, die ihren halben Text vergessen!" Er hat gerade die Proben vom Club Szenenwechsel unterbrochen, die aus dem Ruder zu laufen drohen, weil die Hälfte des Ensembles eine fanatische Episode zu Trump und Clinton spielen will, die andere eher klassisch Lysistrata.
Verärgerte Zuschauer, Schimpf und Schande bei der Probe zur Premiere des neuen Bürgertheater-Stücks der Sparte 0.1, oder gar bei der Premiere selbst? Nein, das ist alles Teil der Show und beweist mit solchen selbstironischen Brechungen nur ihre Großartigkeit. Denn es werden keine Rollen gespielt, sondern Haltungen, und fast scheint ein imaginäres Schild aufzuleuchten: Das ist postdramatisches Theater!
In einem bunten Potpourri einzelner, innerhalb von acht Wochen aufwendig selbst erarbeiteter Szenen nähert sich die sympathische Truppe mit "Anatomie eines fanatischen Übergriffs" dem Thema Fanatismus an. Sei es über die allzu bürokratische Angestellte aus dem Jobcenter, die der mittellosen Hartz 4-Mutter auf die Erklärung "Das ist die Klappcouch meiner Tochter - damit sie ihr eigenes Reich hat" lapidar antwortet: "Der Steuerzahler zahlt kein Reich."
Religiöser Wahn wird in Gestalt dreier saarländischer Witwen zum Thema, die auf dem Friedhof eine Marienerscheinung erleben und dem Publikum kreischend ihre frömmelnde Überzeugung aufzudrängen versuchen.
Am besten kommt aber das Wut-Plädoyer von Roswitha Bernhard an. Die charmante ältere Dame führt als Moderatorin durch den kurzweiligen Abend, hält den Dialog mit den Zuschauern aufrecht und regt sich in einer Szene ganz wunderbar über sexistische Werbung auf. Plakate werden eingeblendet. Es sind viele nackte Hintern und üppige Dekolletés zu sehen, und die Frage, was das alles mit dem beworbenen Produkt zu tun hat, schwebt im Raum. "Um die Libido der kleinpimmeligen Männer anzuregen, die dann auch noch debil grinsen!", ruft Roswitha mit rudernden Armen dem begeistert johlenden Publikum entgegen. Dem scheint das alles irgendwie näher zu sein als eine aufwendig ausgestattete Monumentalaufführung.
Hier wird improvisiert, hier gibt es Trierer Platt statt Hochdeutsch. Und so wird fast jede Episode von Pfiffen und Zwischenapplaus begleitet. Die Fanatik überträgt sich von der Bühne auf die vollbesetzten Stuhlreihen der Studiobühne, und genau damit dürfte das eigentliche Ziel der Inszenierung von Spartenleiter Marc-Bernhard Gleißner geglückt sein.

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