Charlie Brown & Co: 60 Jahre sind keine Peanuts

1950 zeichnet Charles M. Schulz den ersten Peanuts-Strip, der zunächst in sieben Tageszeitungen erscheint. Als der vielfach preisgekrönte US-Amerikaner seine Arbeit Ende 1999 niederlegt, sind die Peanuts der erfolgreichste Comicstrip aller Zeiten.

Hamburg. Zwei Jungs lehnen an einer Mauer und reden über ihre Depressionen. "Kennst du das Gefühl, dass das Leben an dir vorüberzieht?", sagt der eine. "Wenn's nur das wäre", antwortet der andere. "Oft scheint es mir, das Leben und ich gehen in die entgegengesetzte Richtung." Gerade mal in der Grundschule sind die beiden.

Linus heißt der eine, Charlie Brown der andere: Zwei der berühmtesten Figuren der Comic-Geschichte. 1950 gelang es Charles Schulz, einer Zeitung eine Comic-Serie zu verkaufen, die um eine Gruppe von Kindern und einen Hund kreist. Das Ungewöhnliche: Kein einziger Erwachsener taucht jemals auf. Dafür spiegelt sich in den Figuren allerhand, was Erwachsene bewegt. Die Kinder machen sich Gedanken über sich und die Welt, sie unterhalten sich über psychologische Probleme, sie grübeln über Freundschaft und haben Angst vor der Zukunft und dem Alleinsein. Alle wirken sie wie aus einem existentialistischen Theaterstück über die Überforderung des Individuums in der postmodernen Stadt.

Hauptfigur Charlie Brown ist genauso gutmütig, wie er gedemütigt wird. Linus kennt sich in Theologie und Philosophie aus und bekommt Zitteranfälle, wenn man ihm seine Schmusedecke wegnimmt. Die kratzbürstige Lucy gibt psychologische Beratung gegen Geld und reißt Charlie Brown mit ihrem Über-Ego in noch tiefere Depression.

Charlie Browns Hund Snoopy hingegen lebt in seiner eigenen Welt voll versponnener Ideen und Phantasien. Die Depressionen der Menschheit hält er sich dadurch gelassen vom Leib.

Schon als Kind wollte Schulz Comic-Zeichner werden. Bis kurz vor seinem Tod belieferte Schulz Tausende von Zeitungen in aller Welt mit einem täglichen Peanuts-Comic. Eine große Auswahl davon findet sich in einem Buch aus dem Carlsen-Verlag, das zum 60-jährigen Jubiläum der Peanuts erschienen ist. Die Strips sind eingeflochten in die Biographie des Peanuts-Erfinders. So erfährt der Leser von den Parallelen zwischen Schulz und Charlie Brown. Auch Schulz hatte Angst vor Menschen, auch Schulz hatte einen Hund, und auch Schulz war schüchtern.

Seine Therapie: die Peanuts. Hier ließ er einfließen, was ihn beschäftigte. Ein Stück von ihm steckte in allen Peanuts. Als in einem Comic Snoopys Hundehütte brennt, hatte es kurz vorher in Schulz' Haus gebrannt. Ein Verdienst des Buches ist, solche Verbindungen zu zeigen. Der Leser sieht die Peanuts-Comics danach nicht mit anderen Augen, aber mit einem zusätzlichen Blick.

In den minimalistischen Zeichnungen ist indessen kein Strich zu viel zu sehen. Da reichen zwei winzige Häkchen um Linus' Auge, um alles auszusagen über pralle Lebensangst und geballte Melancholie. Schulz setzte aber nicht einfach erwachsene Gedanken in die Sprechblasen. Vielmehr warf er erwachsene Gedankenknäuel seinen Kinderfiguren zu, die diese Knäuel dann entwirren. Dadurch kann der erwachsene Leser voll Klarheit die eigene Welt wiedererkennen: Es ist eine vergrübelte Welt, voll Unsicherheit, Sorge und Verblüffung.

Charles M. Schulz, Das große Peanuts-Buch, Carlsen Verlag, 352 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-551-78656-2

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