Historische Fotos Auf einen Spaziergang mit Kaiser Wilhelm II.
Trier · Historische Fotos stoßen auf riesiges Interesse. Manche Ausstellung in der Trierer Stadtbibliothek wurde von Interessenten geradezu überrannt. Jetzt machen Wissenschaftler der Uni Trier Tausende Fotos digital zugänglich, verknüpfen sie mit historischen Stadtplänen und fügen wissenswerte Informationen an.
Touristen der Zukunft könnten an einem Bauwerk stehen bleiben, auf dem Handy einen QR-Code scannen und sich dann zeigen lassen, wie es einmal ausgesehen hat. Vor 50, 100 oder 150 Jahren oder während der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Einheimische könnten an der Seite von Kaiser Wilhelm II. die Stadt abschreiten und dessen Besuch 1913 von der Moselbrücke zu den Kaiserthermen anhand alter Fotografien und Pläne nacherleben. Oder sie könnten sehen, wie der erste Luftballon in den Trierer Himmel stieg. Wissenschaftler der Universität Trier erarbeiten gerade in Kooperation mit dem Stadtarchiv die Voraussetzungen für all das.
„Es geht in diesem Projekt zunächst um die Digitalisierung von etlichen Tausend historischen Fotografien“, erläutert Prof. Lukas Clemens, Leiter des Projekts, bei einer Präsentation in der Wissenschaftlichen Bibliothek. Diese Bilder werden dann mit aktuellen und historischen Stadtplänen verknüpft, auf denen die Nutzer hin- und herspringen können. So lässt sich ein Ort mit wenigen Klicks zu unterschiedlichen Epochen ansehen. Dafür dass die Pläne genau übereinander passen, sorgt Kartograph Michael Grün (sogenannte Georeferenzierung). Er greift auf diverse historische Pläne zurück, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückgehen. In den Karten markieren die Mitarbeiter des Projekts diejenigen Objekte, von denen es Fotos gibt, die die Nutzer aufrufen können.
„Ich glaube, es ist im Moment die Zeit, in der man den Wert der bildlichen Quelle neu entdeckt“, sagt Professor Michael Embach, Direktor der Wissenschaftlichen Bibliothek, zu der auch das Stadtarchiv gehört. Aus seiner Sicht sei das Projekt so wichtig, „weil es deutlich macht, dass wir hier im Archiv nicht nur schriftliche Quellen hüten“. Das Archiv verfügt über rund 100.000 historische Fotos, darunter knapp 8000 in von Privatleuten geschenkten Sammlungen. Nur ein Teil davon wird nun gescannt, mit den Karten verknüpft und dann in einem weiteren Schritt mit einer Datenbank verbunden, in der alle wesentlichen Informationen zu den Fotos enthalten und abrufbar sind. So hat der Historiker Martin Muß unter anderem bereits vollständig die großen Sammlungen um 1900 sowie Besuche von Kaiser und Reichspräsidenten in die Datenbank aufgenommen. Als nächstes scannt er Aufnahmen von der Zerstörung der Stadt durch Luftangriffe im Ersten und Zweiten Weltkrieg.
Für die Beschriftung der Bilder sind aufwändige Recherchen nötig, die vor allem die Bauforscherin Dr. Marzena Kessler übernimmt. Manchmal, erzählt sie, stimmen alte Bezeichnungen nicht mehr – Straßennamen zum Beispiel oder Hausnummern. Trier hatte nicht zuletzt eine Adolf-Hitler-Straße und ein Hermann-Göring-Stadion. Das alles fließt ein in die breit angelegte Datensammlung. Ein Clou: In der Karte zeigen Icons nicht nur fotografierte Objekte, sondern auch den Standpunkt des Fotografen. So lässt sich die historische Stadt für ganze Straßenzüge genau rekonstruieren. Besonders spannend ist dies bei Straßen wie der Weberbach, die bis zur Kriegszerstörung eine selten gut erhaltene spätmittelalterliche Bebauung hatte. In ihrer Verschlagwortung stecke großes Potenzial, sagt Marzena Kessler. Künftig ließe sich genau lokalisieren, wo die Handwerksbetriebe siedelten, wo Kolonialwarenhäuser waren oder Hotels. Das ermögliche neue Recherchen zur Stadtentwicklung und der Frage: „Wie funktionierte diese Stadt, auch von der wirtschaftlichen Seite?“
Auch für die Denkmalpflege bietet das Projekt Potenzial, denn es legt offen, wo sich alte Bausubstanz befindet. Das Projekt hat eine Anschubfinanzierung aus dem Forschungsfond Rheinland-Pfalz bekommen und läuft im Rahmen des Programms Cultural heritage studies (Chest).
Für Prof. Clemens ist wichtig, dass es „auf Zuwachs angelegt“ ist. „Wir wollen ein Instrumentarium entwickeln, das man vielseitig einsetzen kann, unter anderem im Bereich Tourismus.“ Je nach Fragestellung lassen sich die erarbeiteten Daten und Karten beliebig erweitern oder für eine App nutzen. Erst vor zwei Wochen hatte die Stadt Trier eine Smartphone-Anwendung für einen kommentierten Rundgang zu den Stätten jüdischen Lebens herausgebracht. Auch eine Erweiterung flächendeckend für die ganze Region wäre möglich.
Prof. Embach sieht die Kooperation mit der Universität als Chance, „dass dies der erste Schritt in Richtung auf eine historische Bilddatenbank zur Stadt Trier“ sei, „die man unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten nutzen kann“. Und Stadtarchivarin Simone Fugger von dem Rech ergänzt: „Die Bürger haben ein vitales Interesse daran, denn sie leben ja in den Gebäuden. Die Bildersammlungen gehören zu den meistgenutzten Beständen am Haus.“