Abschluss des Opernzyklus dieser Spielzeit am Theater Trier Von tönender Stille und der Einsamkeit der Seele: Claude Debussys Oper „ Pelléas et Mélisande“ feiert in Jean-Claude Beruttis Inszenierung Premiere in Trier

Trier · Mutig endet mit einem echten Kleinod der Opernzyklus dieser Spielzeit am Theater Trier. Am Wochenende hatte Jean-Claude Beruttis Inszenierung von Claude Debussys Oper „ Pelléas und Mélisande“ Premiere. Ein zutiefst berührender Abend.

 Szene aus „Pelléas et Mélisande“ am Theater Trier mit André Baleiro als Pelléas und Janja Vuletic in der Rolle der Mélisande.

Szene aus „Pelléas et Mélisande“ am Theater Trier mit André Baleiro als Pelléas und Janja Vuletic in der Rolle der Mélisande.

Foto: TV/Theater Trier

„Du dunkler Wald, aus dem wir nie hinausgegangen“. Es sei erlaubt, den Bericht über einen so zauberhaften Abend wie den am Samstag im Theater Trier mit einer Gedichtzeile von Rainer Maria Rilke zu beginnen. Denn auch dort entgingen auf der großen Bühne weder Mélisande noch Pelléas und schon gar nicht Golaud jenem Seelendunkel, das sein Bild im Waldesdunkel und der Düsternis eines alten Schlosses findet. Unter der Regie von Jean -Claude Berutti feierte Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ am Wochenende im Haus am Augustinerhof Premiere. Die Inszenierung ist die letzte Produktion des französischen Theatermachers als Direktor des Musiktheaters. Mit seiner poetischen Inszenierung hat der Regisseur seinem Publikum ein wunderbares Abschiedsgeschenk gemacht und ein mutiges dazu. Ist doch die Oper, mit ihrer wie im Gespräch fortlaufenden Musik und mit ihrem symbolistischen Text ein hochkomplexes Unterfangen. Debussys „Drame lyrique“ in fünf Akten liegt als Libretto das gleichnamige Schauspiel des belgischen Symbolisten Maurice Maeterlinck von 1893 zugrunde. Der Abend beginnt traumhaft. Draußen und drinnen durchdringen sich zum inneren Bild auf der von Rudy Sabounghi eingerichteten Bühne. Am Kaminfeuer im Salon sitzt der verwitwete Golaud mit seinem Sohn Yniold. Hinten auf der Bühnenwand ist ein dunkler Wald zu sehen, durch den eine Straße führt. Darauf ist der Prinz in der Erinnerung unterwegs hin zu seiner ersten Begegnung mit der geheimnisvollen Mélisande, die er weinend und verlassen im Wald findet, als er auf der Jagd der Blutspur des Wildes folgt.

Die Blutspur wird ihn am Ende wieder einholen. Golaud heiratet Mélisande und nimmt sie mit heim ins Schloss im Wald. Dort trifft sie seinen Stiefbruder Pelléas. Beide verlieben sich ineinander. Was zu einem tödlichen Bruderzwist führt. Wer ist diese Mélisande, jene Schwester im Geiste von Undine und Mélusine, die wie Rapunzel ihr Haar herunterlässt. Ist die rätselhafte Schöne, deren Krone angeblich in einen tiefen Brunnen gefallen ist, wohin sie auch ihren Ehering verliert, nichts als ein Trugbild, ein Traum, in dem sich männliche Sehnsüchte und Wünsche offenbaren? Oder ist sie die Unstete, Freiheitsliebende, die sich an keinen Mann bindet, aber jeden verführt? All diesen Fragen gehen seit jeher Regisseure nach, um die Märchengestalt in der Gegenwart festzumachen. Aber gerade dabei entgleitet ihnen meist Debussys Traumbild, das jede Wirklichkeit zerstört.

Solchem Irrtum erliegt Jean-Claude Berutti nicht. Stattdessen inszeniert er die Oper als wäre es ein Text von Marcel Proust ganz aus der Empfindung und der Seelendeutung heraus. Dabei belässt er der Erzählung das Märchenhafte, Wundersame. „Die Seele geht ihren Weg, einsam und still“, weiß König Arkel, der kluge Großvater von Golaud und Pelléas. Genau diese einsame Stille setzt Berutti hochpoetisch mit sparsamen Zeichen, aber vieldeutig in Szene. Es ist eine beredte, tönende Stille, eben jene „silence éloquente“, um die es Debussy geht. Sie hallt im Schloss ebenso wider, wie sie tief unten im Seelendunkel weint, schreit, sich quält und nach Liebe sehnt. Berutti nutzt eindrücklich die ambivalente Kraft der symbolistischen Zeichen des Textes, allen voran das Licht (Lichtregie Christophe Porey). Düster ist es im bedrohlichen Geviert der hohen Wände des Schlossinnern, wo das Leben sich längst vom Traum zum Trauma gewandelt hat. Mit Mélisande im leuchtend gelben Kleid kommt Licht herein (Kostüme Jeanny Kratschowil), das auch durch die nunmehr geöffneten Läden fällt und die Außenwelt hereinlässt, die Freiheit wie Gefahr bedeutet. So wie das Meer, auf das die unglückliche Mélisande sehnsüchtig blickt und das wie die Natur eines der zentralen Symbole hier und in Debussys ganzem Werk ist. Auch den fabelhaften Sängern verlangt die Oper viel ab. Janja Vuletic ist eine seelenvolle Mélisande, deren Kostüm sich wie ihre Welt zunehmend verdüstert. Ein sehnsüchtiger, verliebter Träumer in der stillen Himmelsenge ist André Baleiro als Pelléas mit seinem kultivierten Bariton. Als Golaud gelingt es Stephan Loges eindringlich, die Tragik des einsamen Prinzen beim Wandel von einer fürsorglichen, aufrechten Persönlichkeit zum eifersüchtigen, gewalttätigen Mann darzustellen. Als königlicher Großvater Arkel ist Karsten Schröter ganz welterfahrene empathische Klugheit. Spielfreudig wie stets: Einat Aronstein als Golauds Sohn aus erster Ehe Yniold. In der Doppelrolle als Arzt und Hirte Roman Ialcic. Ergänzt wird das Gesangsensemble durch Mitglieder des Opernchors (Chorleitung Martin Folz) und der Statisterie des Theaters. Unter Leitung von Generaldirektor Jochem Hochstenbach ist das Philharmonische Orchester der Stadt Trier nicht nur den Sängerinnen und Sänger ein präsenter Partner. Die vieltönende Stille hörbar zu machen dienen die reinen Orchesterzwischenspiele der Oper. Hochstembach dirigiert strukturiert, lässt mit seinen Musikern die Musik atmen, macht mit fließenden Farben in der Musik Seelenlagen und Zwischentöne hörbar, ebenso wie Debussys Auseinandersetzung mit Richard Wagner. Bei aller Traurigkeit: mit Mélisandes neugeborener Tochter ist Hoffnung angesagt. Deren Mutter ist nun frei um den Preis des Todes. Anhaltender Applaus. Man hätte sich ein paar Besucher mehr gewünscht.

Weitere Aufführungen: 2.6.,13.6., 24.6., 5.7., jeweils 19.30 Uhr, Grosses Haus.

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