"Da werden sich manche wundern"

Trier · Um den Trierer Georg Schmitt (1821-1900), der in Paris zum angesehenen Musiker aufstieg, ist es in dessen Heimatstadt lange ruhig gewesen. Das könnte sich ändern: Am Sonntag, 7. September, führt der Trierer Konzertchor Schmitts Oratorium "Sinai" auf.

 Neugierig auf einen in Trier fast vergessenen Komponisten: Musikwissenschaftler Wolfgang Grandjean. TV-Foto: Martin Möller

Neugierig auf einen in Trier fast vergessenen Komponisten: Musikwissenschaftler Wolfgang Grandjean. TV-Foto: Martin Möller

Trier. Wie kam es zum Aufführungsprojekt dieses Oratoriums, das 1879 in Trier erstmals zu hören war? TV-Mitarbeiter Martin Möller sprach dazu mit Wolfgang Grandjean, dem Herausgeber des Werks.Herr Grandjean, Sie haben Georg Schmitts Oratorium "Sinai" im Druck herausgegeben. Das Werk wird am kommenden Sonntag aufgeführt. Wie sind Sie auf Georg Schmitt gestoßen?Wolfgang Grandjean: Ich habe sein Mosellied "Im weiten deutschen Lande" noch in der Trierer Volksschule gelernt. Vor ein paar Jahren fiel mir dann Maria Schröder-Schiffhauers Schmitt-Roman "Der vergessene Lorbeer" in die Hände. Das machte mich neugierig: Wie konnte sich ein Trierer Musiker als Emigrant im Pariser Musikleben des 19. Jahrhunderts durchsetzen? Bei meinen Recherchen in Pariser Bibliotheken und Archiven fand ich heraus, dass Schmitt Beachtliches geleistet hat. Frucht meiner Arbeit sind das Buch "Orgel und Oper. Georg Schmitt (1821-1900), ein deutsch-französischer Musiker in Paris", das in Kürze erscheint, und die Druckausgabe von "Sinai". Bei der ersten Aufführung 1879 in Trier wurde nur aus Manuskripten musiziert.Und wie kam es zum Projekt mit dem Trierer Konzertchor? Grandjean: Zum Selbstverständnis des Konzertchors gehört die Pflege der Trierer Musik-Tradition. Dennoch ist es dem Chor und seinem verstorbenen Leiter Manfred May hoch anzurechnen, dass sie dieses Experiment gewagt haben.Schmitt gilt einerseits als Wunderknabe und andererseits unter Musikkennern als zweitklassig. Wie schätzen Sie ihn als Komponisten ein?Grandjean: Man kennt von Schmitt bisher ja hauptsächlich nur seine Orgelwerke aus den 50er und 60er Jahren, die oft noch grob gestrickt und auch nicht ganz seriös wirken. Die symphonischen Werke der 70er und 80er Jahre und auch "Sinai" lassen diese Frühwerke weit hinter sich. Ich denke, nach der Aufführung am Sonntag werden sich manche meiner Trierer Fachkollegen wundern.Wenn wir versuchen, das Oratorium einzuordnen, was ist sein, sagen wir erster Ort - Kirche, Konzertsaal oder Opernhaus?Grandjean: Eindeutig der Konzertsaal, aber es besitzt auch stark opernhafte Züge. Darüber hinaus ermöglichen vor allem die Chöre dem Hörer eine religiöse Identifikation mit der Handlung.Lässt sich eine Tradition benennen, in der das Werk steht? Grandjean: "Sinai" steht in einer französischen Tradition, die in Deutschland wenig bekannt ist: der großen Chorsymphonie beziehungsweise speziell der "Symphonie dramatique". Letztere hat ihren Ausgangspunkt in Hector Berlioz\' "Roméo et Juliette" von 1839. Schmitt hat bei seiner Trie-rer Aufführung im Jahre 1879 das Werk aber wohlweislich "Biblisches Drama" genannt, und es wurde vom Publikum sofort als "Oratorium" verstanden.Ist dieses Werk leicht aufzuführen oder gibt es da unerwartete Klippen zu bewältigen?Grandjean: Die Chöre wirken zunächst nicht so schwierig, doch sind sie aufgrund der romantischen Harmonik und auch ihrer hohen Lage durchaus anspruchsvoll. Die Arien und Duette dagegen verlangen den Solisten alles ab! Das Orchester hat ebenfalls viel zu tun: Schmitt benutzt oft die Blechbläser - sein Klangbild ist unverkennbar von der Orgel beeinflusst.Mal ganz ehrlich: Hat das Oratorium Chancen, mehr als einmal aufgeführt zu werden?Grandjean: (lacht) Wie ehrlich darf es denn sein? Das hängt natürlich auch von der Resonanz der Aufführung am 7. September ab. Aber ich bin optimistisch: Sinai enthält so viele begeisternde Chöre und so wirkungsvolle dramatische Szenen - deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass auch andere Chöre sich zu einer Aufführung entschließen werden.Georg Schmitt, "Sinai". Aufführung am Sonntag, 7. September, um 17 Uhr in St. Maximin. Mit Evelyn Czesla (Sopran), Peter Diebschlag (Tenor), Tobias Scharfenberger (Bariton), Nico Wouterse (Bassbariton), Michael Haag (Bass), Trierer Konzertchor, Philharmonisches Orchester Trier, Leitung: Jochen Schaaf. Karten fürs Konzert im Rahmen des Mosel Musikfestivals gibt es im TV-Service-Center Trier.Extra

Biografische Daten: 1821 Johann Georg Gerhard Schmitt wird am 11. März in Trier-Zurlauben als Sohn des Domorganisten geboren 1835-42 Domorganist in Trier 1844 Auswanderung nach Paris 1846 Komposition des Mosellieds 1846-1898 Insgesamt sieben Reisen nach Trier 1848/49 Aufenthalt in den USA 1850-63 Organist an Saint-Sulpice in Paris 1856-58 Lehrer an der École Niedermeyer 1860-64 Redakteur zweier Musikzeitschriften 1866 Aufführung der komischen Oper "La belle Madeleine" sowie zweier Operetten 1872 Französische Staatsbürgerschaft 1874 Operette "Les poupées de diable" an den Bouffes-Parisiens 1875-78 Kapellmeister an Saint-Germain des Près 1879 Aufführung von "Sinai" in Trier 1887 Auf dem Fest zum 50-jährigen Bestehen der Trierischen Liedertafel wird Schmitt Ehrenmitglied 1898 Konzert in Trier mit eigenen Werken 1900 Tod am 7. Dezember in Paris; Grab auf dem Friedhof Père Lachaise. mö

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