"Dada ist tot - es lebe der Dada!"

Trier · Es war ein Aufbegehren gegen alle Formen künstlerischer Ordnung. Es war ein Triumph der losgelassenen Fantasie. Die Gründung der "Künstlerkneipe Voltaire" am 5. Februar 1916 in Zürich gab den ersten Anstoß zu Dada, einer Kunstrichtung, die keine sein wollte und trotzdem die moderne Kunst bis heute beeinflusst. In Trier zeigt die Universitätsbuchhandlung Stephanus eine Ausstellung zum Thema.

 Engagiert für Dada: Der Trierer Professor Gerhard Schaub vor einer Seriegrafie von Hans Arp (1960). (Einen Titel gibt es nicht). TV-Foto: Martin Möller

Engagiert für Dada: Der Trierer Professor Gerhard Schaub vor einer Seriegrafie von Hans Arp (1960). (Einen Titel gibt es nicht). TV-Foto: Martin Möller

Foto: Martin Möller (mö) ("TV-Upload M?ller"

Trier. Professor Gerhard Schaub in Trier ist Experte für Dada, die revolutionäre Kunstrichtung, die vor 100 Jahren entstanden ist. Anlässlich des Jubiläums, zu dem in Trier auch eine Ausstellung läuft, sprach TV-Mitarbeiter Martin Möller mit ihm. Herr Professor Schaub, Sie haben sich lange und intensiv mit dem Phänomen Dada befasst. Jetzt steht ein Jubiläum an - 100 Jahre Dada. Was ist damals eigentlich passiert? Gerhard Schaub: Hugo Ball, der in der Anfangszeit zu den führenden Akteuren des Dada gehört und übrigens aus Pirmasens stammt - Hugo Ball hatte sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Militär gemeldet, war aber als untauglich abgelehnt worden. Im Mai 1915 emigrierte er mit seiner Partnerin Emmy Hennings in die Schweiz nach Zürich. Am 5. Februar 1916 eröffneten sie in der Spiegelgasse 1 im Zürcher Vergnügungsviertel die "Künstlerkneipe Voltaire", die sie kurz danach in "Cabaret Voltaire" umtauften. In der Frühzeit hatte Ball noch ein sehr gemischtes Programm. Aber allmählich hat sich daraus der Dada entwickelt.Aber außer Hugo Ball haben doch noch andere mitgemacht beim "Cabaret Voltaire".Schaub: Emmy Hennings war natürlich dabei. Von Anfang an gehörten außerdem Hans Arp aus dem Elsass sowie Tristan Tzara und Marcel Janco aus Rumänien dazu. Und Ende Februar 1916 schloss sich Richard Huelsenbeck aus Deutschland den Kabarettisten in Zürich an. Von dort aus verbreitete sich Dada in die europäischen Großstädte, zunächst 1917/1918 nach Berlin und 1920 auch nach Paris.Dada - was bedeutet das? Welches künstlerische Prinzip stand dahinter?Schaub: (Pause) Ja, welches Prinzip stand dahinter? Auf jeden Fall eins: Mit den gängigen Künsten, also Expressionismus, Kubismus, Futurismus oder Surrealismus, nicht zu kooperieren und ein eigenes Profil zu gewinnen. Dahinter sollte eben kein "Ismus" stehen, kein Prinzip, dass sich erlernen und weitergeben ließ. Auf ein positives Programm hatte man ganz bewusst verzichtet. Die Bezeichnung "Dada" war ein Zufallsfund in einem französischen Lexikon. Ball und Huelsenbeck haben diesen Fund ganz bewusst nicht mit Inhalt gefüllt. "Dada" (mit dem Akzent auf der zweiten Silbe) bedeutet also gar nichts, die Bezeichnung steht einfach für sich. Wie soll man Dada einordnen? Am besten gar nicht.Kann man sagen: eine informelle Ästhetik?Schaub: Ja, das könnte ich übernehmen. Kann man sagen: eine Ästhetik der Unordnung?Schaub: Auch das würde passen. Nimmt Dada denn überhaupt Bezug auf andere Kunstrichtungen?Schaub: Es gab kurze Zeit eine Nähe zum Expressionismus, auch zum Futurismus. Aber während der Expressionismus im Kern deutsch war, der Surrealismus französisch und der Futurismus italienisch, war Dada eher international - jedenfalls in Zürich.Die Gründung des "Cabaret Voltaire" fiel mitten in die Zeit des Ersten Weltkriegs. Haben die Dada-Künstler das Hinschlachten an den Fronten nur aus dem komfor-tablen Elfenbeinturm beobachtet?Schaub: Der Zürcher Dada war relativ unpolitisch. Für ihn spielten die Erlebnisse im Krieg keine so große Rolle. Im Berliner Dada mit den Anti-Kriegsbildern eines George Grosz oder John Heartfield war das allerdings anders.Wie ging es mit Dada in den 1920er Jahren weiter?Schaub: Dada hatte eine viel kürzere Lebenszeit als alle damaligen "Ismen". Er bestand nach der Gründung in Zürich höchstens sechs Jahre. Dann ging er in Paris in den Surrealismus über. So hatte André Breton eine Dada-Periode, bevor er prominenter Surrealist wurde.Was haben denn die Nazis zu Dada gesagt?Schaub: In "Mein Kampf" erwähnt Hitler Dada nur in negativem Zusammenhang, Dada passte selbstverständlich nicht ins nazistische Weltbild. Darum wurden Dada-Kunstwerke als "entartet" aus den Museen genommen, verbrannt oder ins Ausland verkauft.Und die restaurative Adenauer-Zeit?Schaub: Dada wurde im Nachkriegs-Deutschland erst allmählich als ernstzunehmende Kunst wahrgenommen. Das fing Ende der 1950er Jahre an.Und heute? Ist Dada mehr als ein kulturhistorisches Phänomen? Was kann man von Dada lernen - als Maler, als Bildhauer, als Schriftsteller, als Musiker? Schaub: Man kann immer noch viel davon lernen. Die Wiener Gruppe, der Neo-Surrealismus, die "konkrete Poesie" orientieren sich an Dada. Noch viele andere Kunstrichtungen wurden und werden von Dada beeinflusst. Auf jeden Fall gilt das Wort von Dada-Künstler Max Ernst: "Dada est mort, vive le Dada!" - Dada ist tot, es lebe der Dada.Wie erschließt man sich denn als kunstinteressierter Normalbürger einen Zugang zu Dada?Schaub: Wer sich für Dada interessiert, sollte in eine der Ausstellungen gehen, die jetzt dazu angeboten werden, zum Beispiel "Genese Dada. 100 Jahre Dada Zürich" im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck. Auch Zürcher Museen wie das Kunsthaus und das Landesmuseum erinnern an Dada.Sie machen auch eine Ausstellung.Schaub: Ja, eine kleine, mit Fundstücken und Reprints, die ich gesammelt habe. Die Universitätsbuchhandlung Stephanus war so freundlich, mir an ihrem Universitätsstandort dafür einen Platz einzuräumen.Die Dada-Ausstellung in der Universitätsbuchhandlung Stephanus, Im Treff 23, in Trier ist bis 29. Februar zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, Samstag 9.30 bis 13.30 Uhr. Im Arp-Museum Rolandseck südlich von Bonn läuft die Ausstellung "Genese Dada. 100 Jahre Dada Zürich" vom 14. Februar bis 10. Juli.Extra

Gerhard Schaub war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003 Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Trier. Seine Forschungsschwerpunkte waren: Clemens Brentano, Georg Büchner, Theodor Fontane, Hugo Ball, Kurt Schwitters, Günter Eich, Wolfgang Koeppen, Expressionismus, Neue Sachlichkeit - und selbstverständlich Dada. mö

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