Damit Worte nicht zur Barriere werden

Trier · Einen weiteren Beitrag zur Barrierefreiheit im Trierer Stadtmuseum Simeonstift leistet der neue Audioguide in leichter Sprache. Er informiert einfach und auf den Punkt gebracht über ausgewählte Objekte der Dauerausstellung. Von dem Angebot sollen nicht nur Menschen mit Behinderung profitieren.

Damit Worte nicht zur Barriere werden
Foto: friedemann vetter (ve.), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Trier. Zielstrebig steuert der dunkelhaarige junge Mann mit seinem Rollstuhl das Bild von Kurfürst Clemens Wenzeslaus im Trebetasaal des Simeonstifts an. "Der interessiert mich", sagt er und zeigt auf das Gemälde. "Mal sehen, was der so gemacht hat."
Um mehr über den barocken Fürsten zu erfahren, nimmt Patrick Loppnow seinen Audioguide heraus. Vorher schaut er auf den Plan in seiner Hand. Darauf sind ausgewählte Werke der Ausstellung abgebildet, auch das Porträt des Kurfürsten. Jedes Werk ist mit einer Nummer versehen. Sie entspricht der Nummer des im Audioguide gespeicherten Beitrags, der das Werk vorstellt.
Aha, das Bild von Clemens Wenzeslaus hat Nummer 604. Der wissbegierige Museumsbesucher tippt die Zahlen ein. Eine angenehme Frauenstimme ertönt, die langsam und klar über Leben und Werk des einstigen Herrschers berichtet. Als sie fertig ist, nickt ihr Zuhörer zufrieden: "Dass der mal mächtig war, habe ich mir gleich gedacht, so wie der aussieht."
Was Patrick Loppnow ausprobiert, ist der neue Audioguide des Stadtmuseums in "leichter Sprache". Als erstes Museum in Rheinland-Pfalz hat das Haus einen Audioführer entwickelt, der in kurzen und einfachen Sätzen möglichst ohne Fremdwörter das Ausstellungsangebot erklärt.
Der neue Guide, der mit der Lebenshilfe Trier erarbeitet wurde, richtet sich ebenso an Menschen mit geistigen Behinderungen, wie an Besucher mit Lese-und Lernschwächen und anderen Verständnisproblemen. Er ist ein weiterer Beitrag des Museums zur Barrierefreiheit. Bereits in der Entwicklung sind 3D-Modelle, Tastreliefe und Multimedia-Angebote für Sehgeschädigte und Blinde, die mit Hilfe von Trierer Studierenden entworfen wurden (der TV berichtete am 21. Februar).
"Als öffentliches Haus ist es uns ganz wichtig, für Menschen in unterschiedlichen Situationen offen zu sein", erklärt Museumschefin Elisabeth Dühr. 20 Objekte aus allen Epochen und Bereichen der Stadtgeschichte von der Römerzeit bis zur Gegenwart enthält der vom Audioguide begleitete Rundgang.
Anders als bei einem Kinderführer werden bei dem Angebot in leichter Sprache auch komplizierte Themen erklärt, etwa das Werk von Karl Marx (siehe Extra). Die schlichte Darstellung schwieriger Zusammenhänge sei eine Herausforderung gewesen, berichten Alexandra Orth und Dorothée Henschel. Unterstützt wurden die Projektleiterinnen von einer Arbeitsgruppe der Lebenshilfe. Diese hatte alle Texte schriftlich zur Begutachtung erhalten. Ein Jahr dauerte die gemeinsame Arbeit daran. Zu den Prüfern gehörten auch Patrick Loppnow und Beate Macher. Die Vorsitzende des Landesbeirats Behinderter Menschen ist eine erfahrene Museumsbesucherin. Schnell erkannte sie die Schwächen der Entwürfe. "Da waren zu viele komplizierte Wörter drin", erinnert sie sich. "Wir haben alle Fehler und schlecht verständlichen Stellen angekreuzt", ergänzt Patrick. Wichtig war zudem die Auswahl der passenden Stimme. Warm musste sie sein, mit deutlicher Aussprache. Für interessierte Leser soll das Audioangebot künftig noch durch eine Broschüre ergänzt werden.
Der neue Führer in leichter Sprache schließt fraglos eine Lücke in der Vermittlung des musealen Angebots. Der Bedarf an leicht verständlichen Texten werde immer größer, bestätigt Andrea Paulus. Auf 20 bis 30 Prozent schätzt die Ansprechpartnerin für leichte Sprache der Lebenshilfe Trier den Anteil der Bevölkerung mit Lese- und Verständnisproblemen angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen, Hochbetagten und Demenzkranken.
Für Wolfgang Enderle ist der Guide mit seiner Hilfe zur Selbsthilfe vor allem ein wichtiger Beitrag zu einer funktionierenden Inklusionsgesellschaft. "Wir wollen, dass sich Menschen mit Einschränkungen möglichst selbständig in unserer Gesellschaft bewegen können", sagt der Vorstand der Lebenshilfe. Patrick Loppnow ist derweil schon unterwegs zum nächsten Objekt, dem Trierer Marktkreuz. Gerade tippt er die Nummer 602 in den Guide.
Am 10. Oktober führt Alexandra Orth in "leichter Sprache" durch die Möbel-Ausstellung des Stadtmuseums.
Extra

Ein Beispiel aus dem Museumsführertext zu Karl Marx: Allgemeiner Text: Beginnend mit dem "Kommunistischen Manifest" von 1848 bis hin zum "Kapital" von 1867 schuf Karl Marx eine empirische Wirtschafts- und Sozialtheorie und zeigte die grundlegenden Abhängigkeiten und Machtverhältnisse in einer kapitalistischen Gesellschaft auf. Gemeinsam mit seinem Freund und Förderer, dem Fabrikanten Friedrich Engels, gilt er als Begründer des Wissenschaftlichen Sozialismus, eine Bezeichnung, die weitgehend synonym mit Kommunismus und auch Marxismus wurde. Text in leichter Sprache: Karl Marx machte sich viele Gedanken. Zum Beispiel über die Regierung. Er dachte über die Verteilung von Geld und Reichtum nach. Er wollte, dass jeder für seine Arbeit gerecht bezahlt wird. Diese Gedanken schrieb er mit einem Freund auf. Der Freund hieß Friedrich Engels. Sie schrieben zwei wichtige Bücher. Die Bücher hießen: "Das kommunistische Manifest" und "Das Kapital". Die beiden waren wichtig für eine politische Richtung. Diese nennt man: Kommunismus. er

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