Dankgesang am Flügel

LUXEMBURG. Lang Lang ist der Shooting Star der weltweiten Klavierszene. In der Luxemburger Philharmonie präsentierte sich der 24-jährige Chinese mit Beethovens viertem Klavierkonzert als feinsinniger Tastenkünstler.

Klavierlöwe? Akrobat auf der Tastatur? Lang Lang setzt sich ganz ohne Allüren ans Klavier, verhält ein paar Sekunden, die endlos erscheinen, baut Spannung auf, vertieft sich. Und gibt dann dem "piano dolce"-Beginn von Beethovens viertem Klavierkonzert einen meditativen, fast sakralen Zug - ein pianistischer Dankgesang, als hätte Beethoven damals schon seine späten Streichquartette im Sinn gehabt. Lang Lang, der 24-jährige Chinese mit der Senkrechtstarter-Karriere ist eine pianistische Sensation, gerade weil er die Klischees vom Klaviervirtuosen nicht bedient. Das leiseste, introvertierteste Klavierkonzert Beethovens bleibt frei von all dem Grobschlächtig-Triumphalen, all dem Düster-Abweisenden, das zu Unrecht als beethoven-typisch gilt. Lang Lang musiziert mit fließender Leichtigkeit, Eleganz und Wärme. Geringstimmige, scheinbar simple Stellen wie das zweite Thema im Finale erhalten ätherischen Glanz. Lang hört den Schubert der intimen Lieder aus diesem Konzert heraus und zugleich den Debussy der feinsinnig-transparenten Klangfiguren. Gewiss: Es fehlt noch die Architektur dieser Musik, fehlen ihre Dramaturgie und vielleicht ihr humaner Appell. Aber Lang Lang ist sichtlich dabei, seinen Beethoven-Stil zu finden. Und der könnte ganz anders aussehen als traditionelle Interpretationen. Vielleicht ein Beethoven fürs 21. Jahrhundert.Fest im Griff: Bruckners Vierte

Das Philharmonische Orchester Rotterdam und sein Dirigent Valery Gergiev nehmen den Tonfall auf. Aber je intensiver sich der Pianist in Beethovens Musik hineinspielt, um so deutlicher wird die Differenz zwischen Solist und Orchester. Der groß, vielleicht allzu groß besetzte Klangkörper vermittelt zwar die Lyrik in Lang Langs Beethoven, bleibt aber schwerfällig. Wo der Pianist den feinen Silberstift ansetzt, arbeiten Orchester und Dirigent mit dem breiten Pinsel. Nicht dieser Beethoven löste die Jubelstürme in der voll besetzten Luxemburger Philharmonie aus, sondern Lang Langs Liszt-Zugabe. Nach der Pause Bruckners Vierte. Valery Gergiev hat die Architektur dieser Musik fest im Visier. Zu Beginn baut er auf dem "Klanggrund" der Streicher mit den Holzbläsern und dem hervorragenden ersten Horn einen bruchlosen Bogen bis zum ersten, lautstarken Blech-Einsatz. Und die 42 Einleitungstakte, die im Finale dem ersten Auftritt des Hauptthemas vorausgehen - Gergiev und seine Rotterdamer entwickeln sie zu einem eindringlichen Crescendo. Eine wuchtige, eine überaus stringente Interpretation, die mit lautem Jubel bedacht wurde. Aber so überzeugend die großflächige Gestaltung verlief, so schmerzlich fehlte die Arbeit im Detail, fehlte vor allem die Hellhörigkeit für die romantischen Elemente dieser Sinfonie, die Bruckner selber die "Romantische" nannte. Das komplexe Seitenthema im Kopfsatz verschwamm im akustischen Ungefähr. Dem Mittelsatz mit seinem stillen, an Schubert anknüpfenden Beginn fehlte der melancholisch-verhaltene Zug. Im virtuos musizierten Scherzo blieb die Bilderwelt der literarischen Romantik aus - die Jagd-Assoziationen, die Beiklänge von Wald, Freiheit und Einsamkeit. Das gewaltige Gebäude dieser Sinfonie blieb leer - ein Dom ohne Innenleben.

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