Das Diktat des Immer-Mehr

Luxemburg · In "Made in Bangladesh" zieht die Choreographin Helena Waldmann Parallelen zwischen der Ausbeutung von Textilarbeitern in Bangladesh und von Tänzern im Kunstbetrieb. 300 Zuschauer haben das dokumentarische Tanztheaterstück im Luxemburger Grand Théâtre gesehen.

Luxemburg. Akkordarbeitern zuzusehen ist anstrengend. Ferse, Ballen, Ferse, Ballen, Ferse, Ballen. Stoisch bewegen sich nackte Füße in sich wiederholenden, den Takt diktierenden Bewegungen. Nähmaschinennadeln rasen in einem eigenen Rhythmus über die Leinwand auf der hinteren Bühnenwand. Helena Waldmanns Tanztheaterstück ist anstrengend und unbequem. Optisch, akustisch, inhaltlich. Es geht um Ausbeutung. Ausbeutung von Textilarbeitern in Bangladesh (80 Prozent von ihnen sind Frauen), Ausbeutung von Profi-Tänzern. Körperlich wie finanziell.
Im April 2013 stürzte in Bangladesh eine Textilfabrik ein. Mehr als 1100 Menschen starben. Im medialen Echo erfuhren die Konsumenten von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Näherinnen.
Die prekäre Lage von Profi-Tänzern dagegen findet bislang wenig Aufmerksamkeit. Im Gespräch mit dem Publikum nach der Vorstellung spricht Waldmann von Mini-Gagen, harter Konkurrenz, Schmerztabletten, Altersarmut, gnadenloser (Selbst-)Ausbeutung.
Die Tänzer, die sie bei ihren intensiven Recherchen vor Ort in Dhaka gecastet hat, drehen noch eine weitere Pirouette: Sind wir nicht alle "Made in Bangladesh"? Beuten wir, die Billig-Shirt-Konsumenten, uns nicht auch selbst aus - wenn auch unter komfor-tableren Rahmenbedingungen? Wird nicht auch unser Lebensrhythmus von Superlativen diktiert? Die Vokabeln zumindest sind übertragbar: schneller, effektiver, innovativer, neuer, mehr.
In ihrem Stück dokumentiert Waldmann den Status quo. Und gibt eine Nicht-Handlungsanweisung: "Boykottiert nicht unsere Produkte", steht auf der Leinwand hinter den Tänzern, hinter den Arbeitern, auf der gerade noch Bilder der eingestürzten Fabrik zu sehen waren. Sie brauchen die Arbeit. Was fehlt, sind faire und würdige Bedingungen.Extra

Mit ihrer Textilkampagne "Fashion victims" informiert die Caritas Luxemburg über soziale und ökologische Hintergründe der Textilbranche und zeigt Alternativen auf: <%LINK auto="true" href="http://www.caritas.lu" class="more" text="www.caritas.lu"%> Die Initiative "Art but fair" hat sich zum Ziel gesetzt, Künstler untereinander zu solidarisieren und zu vernetzen und die Öffentlichkeit auf Missstände hinzuweisen: <%LINK auto="true" href="http://www.artbutfair.org" class="more" text="www.artbutfair.org"%> arn

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