Das fast perfekte Kunstprodukt

Trier/Mainz · PG5, unser Molekül der Woche, ist das bisher größte der Serie und ein beinahe perfektes Makromolekül aus dem Baukasten von Polymerchemikern mit denkbaren Anwendungen in der Nanotechnologie. Es ist so schwer wie 200 Millionen Wasserstoff-Atome.

 Das am Reißbrett entworfene Molekül PG5 ist das größte der Serie. Foto: Deutschlandfunk

Das am Reißbrett entworfene Molekül PG5 ist das größte der Serie. Foto: Deutschlandfunk

Trier/Mainz. Draußen ist es hellichter Tag, drinnen dunkel wie die Nacht. Im Lichtstreuungsraum des Instituts für physikalische Chemie an der Universität Mainz ist eines nicht erwünscht: Licht. Nur das eines Argon-Lasers auf einer Billiardtisch großen Metallwerkbank. Der Staub in der Luft lässt seinen grünen Dauerstrahl magisch glitzern. Von Spiegeln wird der feine Lichtstreif um mehrere Ecken gelenkt, am Ende durchbohrt er eine flüssigkeitsgefüllte Glaskuvette. Was wie klares Wasser darin aussieht, enthält in Wahrheit etwas ganz Besonderes: das größte Molekül, das Polymerchemiker jemals am Reißbrett entworfen und dann fast fehlerfrei synthetisiert haben.
PG5 tauften die Forscher ihr zylindrisches Kunstprodukt. Das steht für "Polymer der 5. Generation". Das Ding aus der Nanowelt ist fast so groß wie ein leibhaftiger Pflanzenschädling, das Tabak-Mosaik-Virus. Es besteht aus mehr als 10 000 identischen Kunststoff-Bausteinen und wiegt so viel wie 200 Millionen Wasserstoffatome. Allein im letzten von insgesamt fünf Schritten zur endgültigen Synthese von PG5 wurden 170 000 Bindungen geknüpft. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich um den deutschen Polymerchemiker Dieter Schlüter haben den molekularen Riesen kürzlich synthetisiert. In Mainz wurde er genau vermessen. "Stellen Sie Sich vor, wie viele Fehler Sie machen würden, wenn Sie 170 000 Legosteine aneinanderklicken", sagt Manfred Schmidt, Professor für physikalische Chemie an der Mainzer Uni. Den PG5-Schöpfern aber sind praktisch keine Fehler unterlaufen. "Das Kunststück ist, die Reaktion so zu führen, dass mehr als 99 Prozent aller Untereinheiten perfekt reagieren", präzisiert der Polymerchemiker.
UN-Jahr der Chemie: Das Molekül der Woche


Es gebe zwar Moleküle, deren Masse "praktisch gegen unendlich strebe". Schmidt fallen da die saugstarken vernetzten Makro-Gele in Babywindeln ein. Aber deren molekulares Gerüst enthalte viele fehlerhafte Verknüpfungen. Anders PG5: "Wir sprechen hier über das größte synthetische Makromolekül mit fast perfekter Struktur." Die Oberfläche der unzähligen PG5-Bausteine ist mit Aminogruppen übersät, die Stickstoff und Wasserstoff enthalten und, so der Mainzer Forscher, "immer weiter umgesetzt werden können". Nötig für das Gelingen der molekularen Großfusion war laut Schmidt nicht zuletzt pedantische Sauberkeit bei der Probenpräparation. Denn Verunreinigungen führen zu unerwünschten Nebenreaktionen bei Stoffsynthesen.
Den Polymerchemikern geht es nach eigener Aussage nicht um immer neue Größenrekorde. Sie haben durchaus praktische Anwendungen für ihre Mega-Moleküle im Sinn. So könnte man PG5 auf einer Oberfläche fixieren und an seine Aminogruppen "Farbstoffe und Pharmaka für biomedizinische Anwendungen anbinden", wie Schmidt sagt. Dann hätte man eine Chemie-Werkbank im Nanomaßstab. Das Schönste an ihr: Sie wäre so lang, dass man sie unter dem Mikroskop sogar sehen und verschieben könnte.
Dieser Beitrag läuft am Mittwoch, 27. April, um 16.35 Uhr im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe "M3 - Mraseks Molekül-Mosaik", in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Infos im Netz unter www.dradio.de/jahrderchemie

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