Das Geheimnis der verschollenen Eidechse

Trier/Mainz · Abenteuer Archäologie: Die jüngere Neuzeit ist für Altertumsforscher ein wenig beachtetes Themenfeld. Ein besonderer Fund in Trier.

Das Geheimnis der verschollenen Eidechse
Foto: Thomas Zuehmer (g_kultur

Trier/Mainz Wenn Fundstücke erzählen könnten, dann hätte die grüne Eidechse viel zu berichten. Eine ihrer Geschichten würde von besseren Zeiten handeln, als in dem ehrwürdigen Haus an der Straße Weberbach in Trier noch Hotelgäste ein- und ausgingen, die vor allem die Nähe zu den Kaiserthermen genossen. Nur über die Straße mussten die Menschen damals blicken, um die antiken Überbleibsel aus römischer Zeit zu bewundern. Die schmucke Tiernachbildung aus Bronze könnte auch die dramatische Nacht im Dezember 1944 schildern, als alliierte Bomber das Hotel und die ganze Häuserzeile in Schutt und Asche legten. Die Eidechse und viele andere Sammlungsstücke und Gebrauchsgegenstände, die in einem gemauerten Wandschrank aufbewahrt wurden, stürzten in den Keller und wurden von meterhohem Schutt begraben.70 Jahre verschüttet Da aber Fundstücke wie die bronzene Echse nicht reden können, mussten sich die Archäologen mehr als 70 Jahre nach der dramatischen Bombennacht auf die Suche nach ihrer Geschichte begeben. "Hier in Trier gibt es natürlich eine Dominanz der römischen Befunde", sagt Joachim Hupe von der Außenstelle Trier der Direktion Landesarchäologie. "Bei Bauarbeiten stoßen wir aber immer auf mittelalterliche und neuzeitliche Keller. Die Neuzeit ist allerdings erst in den frühen 1990er Jahren in den Fokus geraten."In der Ausstellung "vorZEITEN", die derzeit im Landesmuseum in Mainz gezeigt wird, nimmt die Neuzeit deshalb fast zwangsläufig einen wesentlich kleineren Part ein als die spektakuläre Römerzeit oder das Mittelalter. Dabei bietet der mehr als 500 Jahre umfassende Zeitraum dieser Epoche angesichts der rasanten Entwicklung von Wissenschaft, Kunst und revolutionären Gedanken eine Fülle von historisch interessanten Ansätzen. Warum der Umgang mit der jüngeren Vergangenheit nicht einfach ist, weiß der Archäologe Michael Schwab von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz. Er bezeichnet die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts durch den Mainzer Johannes Gutenberg zu Beginn der Frühen Neuzeit für die Geschichtsforscher als "Segen und Fluch zugleich". Denn durch die Möglichkeit, in kürzester Zeit Publikationen und Schriftquellen zu vervielfältigen, stehe der Neuzeitarchäologie eine sehr große Sammlung an schriftlichen Quellen zur Verfügung. "Diese zunehmende Verfügbarkeit von Schriften vermittelt jedoch auch den Eindruck, dass dadurch im ausreichenden Maße historische Quellen zur Verfügung stehen würden." Ob auch deshalb die Neuzeitarchäologie in Deutschland bisher - mit Ausnahme Erforschung der Industriegeschichte - nur wenig in Erscheinung getreten ist, lässt er offen. Problematisch sei es allerdings, dass sich nur wenige Schriftquellen mit der Lebenswelt eines Großteils der Menschen auseinandersetzten. Zudem seien unzählige schriftliche Quellen durch Naturkatastrophen, Brände, fehlerhafte Lagerung, vor allem aber durch Kriege verloren gegangen. "Gegen Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs wurden Unmengen von Unterlagen vernichtet, damit sie nicht dem Kriegsgegner in die Hände fallen konnten", schreibt Schwab in seinem Essay zur Landesausstellung. "Somit liegt gerade für diese Zeit eine eher geringe Menge aufbereiteter Schriftquellen vor, und die Ergebnisse archäologischer Forschungen nehmen inzwischen einen nicht mehr wegzudenkenden Platz bei der Erforschung dieser Ereignisse ein."Zeugnisse der Lebensumstände Die Funde, die bei Altstadt- und Ortssanierungen sowie Bauprojekten wie dem in der Trierer Straße Weberbach gemacht werden, sind Schätze, um mehr über die Geschichte der Menschen und ihre Lebensumstände zu erfahren, die dort in den vergangenen Jahrzehnten gelebt haben. Und nicht selten bergen die Baustellen für die Archäologen Überraschungen. Das trifft auch auf den Fund aus dem ehemaligen Hotel an der Weberbach in Trier zu. Weil dort für die doppelgeschossige Garage eines Neubaus acht Meter tief gegraben wurde, kam wesentlich mehr zum Vorschein als die kupferne Eidechse, Porzellan- und Metallteller, Besteck, Taschenuhren und Ehrenzeichen. Insgesamt 300 Objekte. Joachim Hupe, im Landesmuseum Trier auch Referent für Mittelalterarchäologie, kommt ins Schwärmen. "Das Aufeinandertreffen der Epochen ist der besondere Reiz der Stadtarchäologie." Die Ergebnisse aus dieser großen Grabung verdeutlichen, was er damit meint: So wurde in der untersten Schicht, in acht Metern Tiefe, ein jungsteinzeitliches Ton-Schiefer-Beil gefunden. "Wir haben Reste der frührömischen Bebauung inklusive einer Straße aus dem ersten Jahrhundert entdeckt." Ein bislang unbekanntes Eingangsgebäude zu den Kaiserthermen aus der Zeit um 300 n. Chr. wurde darüber nachgewiesen. Gefunden wurden natürlich auch die spätmittelalterlichen Keller der gotischen Häuser, die hier im 13. und 14. Jahrhundert errichtet wurden. Auch zwei riesige Sickerschächte für die Lohe der einstigen Gerbereien im Viertel kamen zum Vorschein - sie sind vor dem Bau des Gebäudekomplexes auf dem Gelände versiegelt worden.Rückkehr in Familienbesitz Doch die Geschichte der bronzenen Eidechse ist ein andere. "Es war schon etwas Besonderes, dass wir den Inhalt des verschütteten Wandschranks nach mehr als 70 Jahren der Familie zurückgeben konnten, der das Hotel einst gehörte", sagt Joachim Hupe. Die Erbin des Besitzes, die ihre frühe Kindheit in dem Hotel verbracht hat, lebt noch in Trier. Im Kaufvertrag für das Trümmergrundstück war im Jahr 1967 festgehalten worden, dass Wertgegenstände, die sich möglicherweise in der Erde verbergen, an die Familie zurückgegeben werden müssen. "Die Übergabe der Sammlungsstücke und Andenken aus dem Besitz ihres Vaters war für die Erbin eine sehr emotionale Sache", erinnert sich der Archäologe. Der Mann war schon im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden und 1944 an der Ostfront gefallen. In der Bombennacht in jenem Dezember musste die Witwe die Erinnerungsstücke aber zurücklassen. "An jedem Stück hängen Erinnerungen", sagte die bewegte Tochter, als ihr die wiederentdeckten Objekte im März 2015 zurückgegeben wurden.Da sich die Dame aber darüber hinaus in der Öffentlichkeit nicht zu den lange verschollenen Objekten aus dem Familienbesitz äußern will, muss die Geschichte der grünen Bronze-Eidechse ein Geheimnis bleiben. Extra: LANDESAUSSTELLUNG "VORZEITEN"

Unter den Fundstücken auf dem Gelände an der Weberbach sind auch ein Eisernes Kreuz (II. Klasse), eine Schatulle und die massive Nachbildung einer Eidechse aus Bronze.

Unter den Fundstücken auf dem Gelände an der Weberbach sind auch ein Eisernes Kreuz (II. Klasse), eine Schatulle und die massive Nachbildung einer Eidechse aus Bronze.

Foto: Thomas Zuehmer (g_kultur
Das Geheimnis der verschollenen Eidechse
Foto: Thomas Zuehmer (g_kultur
 Die Fotografie aus den 1930er Jahren zeigt in Trier die Zeile mit gotischen Stadthäusern an der Straße Weberbach, gegenüber den römischen Kaiserthermen. Diese wurden im Dezember 1944 bei Luftangriffen zerstört. Aus dem Haus vorne rechts stammen die 2015 geborgenen Fundstücke. Foto: Stadtarchiv Trier

Die Fotografie aus den 1930er Jahren zeigt in Trier die Zeile mit gotischen Stadthäusern an der Straße Weberbach, gegenüber den römischen Kaiserthermen. Diese wurden im Dezember 1944 bei Luftangriffen zerstört. Aus dem Haus vorne rechts stammen die 2015 geborgenen Fundstücke. Foto: Stadtarchiv Trier

Foto: (g_kultur

Zum 70. Geburtstag des Landes zeigt eine große Ausstellung in Mainz die Bandbreite dessen, was die heimischen Altertumsforscher in den vergangenen sieben Jahrzehnten entdeckt haben. "vorZEITEN" - Archäologische Schätze an Rhein und Mosel" ist der Name der Schau, die bis zum 7. Januar 2018 im Landesmuseum in Mainz zu sehen ist. Sie wurde gerade um zweieinhalb Monate verlängert.Die Ausstellung zeigt spektakuläre Funde und einmalige Exponate von den erdgeschichtlichen Anfängen bis in die Gegenwart. Es ist ein Streifzug durch 800 000 Jahre Menschheitsgeschichte. Infos: <%LINK auto="true" href="http://www.vorzeiten-ausstellung.de" text="www.vorzeiten-ausstellung.de" class="more"%> Im vorherigen Teil unserer Serie "Abenteuer Archäologie" haben wir unter der Überschrift "Hinabgestiegen in das Reich des Todes" die Erkenntnisse aus den Untersuchungen des Gräberfelds in Münstermaifeld in der Eifel vorgestellt. 550 Gräber haben die Wissenschaftler dort bislang gefunden. Im nächsten Teil unserer Serie entführen wir Sie hinter die Kulissen des Landesmuseums und zeigen, was mit den wertvollen Gold- und Silberfunden im Münzkabinett geschieht. Weitere Texte, Videos und Fotos finden Sie im Internet unter <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/vorzeiten" text="www.volksfreund.de/vorzeiten" class="more"%>

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