Das Kapital beherrscht die Menschen

PRÜM. Ein streitbarer Geist beim Eifel-Literatur-Festival in Prüm. Der CDU-Politiker Heiner Geißler sprach am Freitag vor mehr als 500 Gästen in der Karolingerhalle über seinen Bestseller "Was würde Jesus heute sagen?". Im TV -Interview äußerte sich der 74-Jährige zu Fragen von Politik, Moral und Kirche.

Wieviel Prozent der in der Politik tätigen Menschen sind Pharisäer? Geißler: Die Pharisäer kommen in der Bibel etwas schlecht weg. Sie wollten Jesus nicht töten. Es waren Fundamentalisten, die sehr daran interessiert waren, zu streiten und zu diskutieren. Es waren aber auch Leute, die von sich dachten, sie wüssten alles besser. Also davon gibt es in der Politik sehr viele. Wieviele Politiker haben Sie wegen ihres Buchs eigentlich beschimpft? Geißler: Nein, das habe ich nicht erlebt. Es gab einige Theologen, die kritisiert haben. Das Buch hat eine hohe Akzeptanz gefunden, auch in der Politik. Machen Sie Ihrer Partei mit dem, was Sie schreiben oder schon während Ihrer aktiven Laufbahn geäußert haben, das Leben schwer oder macht(e) die Partei Ihnen das Leben deshalb schwer? Geißler: Ich habe mir das Leben nie schwer machen lassen. Wer sich ärgert, büßt die Sünden anderer Leute. Aber zur Demokratie und zu einer politischen Partei gehört der Widerspruch. Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gelacht. Jesus war einer, dessen Leben gekennzeichnet war durch Widerspruch gegen die Mächtigen und Herrschenden. Deswegen haben sie ihn ja auch umgebracht. Wieviele Prozentpunkte würde die Union verlieren, wenn Sie das C aus ihrem Namen streichen würde? Geißler: Teilweise hat sie das C schon aus dem Namen gestrichen, und in der realen Politik sind die Wahlergebnisse zum Beispiel bei der Bundestagswahl nicht berauschend gewesen. Die CDU muss aufpassen, dass sie nicht den Charakter als Volkspartei verliert, das wäre sicher die Folge, wenn das Christliche und das Ethische aus der Politik verschwinden würde. Was machen Politiker heutzutage falsch? Geißler: Es gibt Politiker, die machen es im Wesentlichen richtig. Es gibt aber auch welche, die ziemlich viel falsch machen. Die beiden großen Volksparteien haben sich in das Schlepptau des Neoliberalismus begeben. Und das führt dazu, dass das Kapital die Menschen beherrscht, anstatt dafür zu sorgen, dass es umgekehrt ist. Welche Tugenden sollte ein Politiker besitzen? Geißler: Jesus wäre auch heute ein vorbildlicher Vertreter des Volkes. Er war unabhängig, selbstständig, selbstbewusst, mutig - und er konnte glänzend reden. Zudem stand er auf der Seite der Leute, die Hilfe brauchten. Das sind Eigenschaften, die heute in vielen politischen Parteien fehlen. Sie stehen ganz offensichtlich mit dem Thema Zölibat auf Kriegsfuß. Was sind ihre Hauptangriffspunkte? Geißler: Jesus war ein Freund der Frauen. Die Frauenfeindlichkeit der Kirche, die etwas zu tun hat mit einer völlig verqueren Sexualmoral, hat keine Quelle im Evangelium, sondern ist die Folge einer Irrlehre. Der Zölibat ist nur ein Relikt dieser Irrlehre. Was macht der Papst in dieser Frage falsch? Geißler: Der Papst ist in dieser Frage nicht mutig genug. Den Zölibat könnte er sofort aufheben. Das würde zu keinen Verwerfungen in der Kirche führen, ganz im Gegenteil. Die Aufhebung des Zölibats würde sogar eine große Befreiung für Menschen bedeuten, die Priester werden wollen. Dass Frauen Priesterinnen werden dürfen, würde wahrscheinlich aber noch zu großen Auseinandersetzungen führen. Die katholische Kirche ist noch nicht so weit. Wir sehen aber auch durch die evangelische Kirche, dass die Vereinbarkeit von Frauen und Priestertum eigentlich etwas Selbstverständliches sein müsste. Die Kirche muss auf diesen letzten Rest der Frauendiskriminierung unbedingt verzichten. Was würde Jesus heute sagen, wenn ihm George W. Bush gegenüberstünde? Geißler: Er würde ihm sicher sagen, er solle sich für seine Kriege nicht auf Gott berufen. Und dass er vielleicht mehr die Bergpredigt lesen müsste. Dann würde er erkennen, dass der Irak-Krieg deswegen falsch war, weil er eine wichtige Botschaft des Evangeliums verletzt hat, nämlich auch gegenüber dem Feind nicht nur eine Meile mit zu gehen, sondern zwei; also alle Möglichkeiten einer friedlichen Lösung auszuschöpfen. Das hat Bush nicht getan. Wie sich jetzt herausstellt, ist die kriegerische Lösung die falsche gewesen. Was würde Jesus heute sagen, wenn eine Frau in der katholischen Kirche die heilige Messe halten würde? Geißler: Das würde er begrüßen. Die Frauen waren bei ihm, als er verhaftet und gefoltert wurde. Von den Männern, von den Aposteln, hat man nur Staub gesehen. Was würde Heiner Geißler heute sagen, wenn er als Regierungschef sein Kabinett begrüßen würde? Geißler: Ich würde sagen, unsere Arbeit orientiert sich an den Menschen. Wir sind für alle Menschen da. Wir sind für die Freiheit und für die moderne Form der Nächstenliebe. Mit Heiner Geißler sprach unser Redakteur Manfred Reuter.

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