Trier Glanz oder gar nicht

Trier · Auch im Brunnenhof brillant: Anna Pircher als „kunstseidenes Mädchen“.

 Anna Pircher als Doris in „Das kunstseidene Mädchen“ in der Inszenierung des Theaters Trier im Brunnenhof.

Anna Pircher als Doris in „Das kunstseidene Mädchen“ in der Inszenierung des Theaters Trier im Brunnenhof.

Foto: TV/Feichtner, Andreas

Das sehr inoffizielle Vorprogramm zum Theaterabend gibt’s am Freitag in unmittelbarer Nähe des Brunnenhofs, auf dem Porta-Nigra-Vorplatz: Da parkt ein dicker Geländewagen, davor wuselt ein Kamerateam: ein Trierer Rapper posiert für ein Video – die Musik kommt aus dem Ghettoblaster. Zu hören sind immer wieder eine szenetypische Absage an Verräter („fick die 31er, fick das Gesetz“, Anm.: das bezieht sich auf Paragraf 31 im Betäubungsmittelgesetz) und etwas Trierer Lokalkolorit. Zu sehen: große Gesten. Und zu erahnen: vielleicht ist das 2020 ein Weg zum Luxus. Eine Möglichkeit, die Provinz hinter sich zu lassen und in der Metropole ein „Glanz“ zu werden.

Nein, Letzteres ist keine Jugendsprache, jedenfalls keine aktuelle. Doris spricht so, die 18-jährige Protagonistin aus Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“, in der Trierer Inszenierung, brillant von Anna Pircher auf die Brunnenhof-Bühne gebracht. Es ist ihr Teenager-Traum vom Durchbruch anno 1931 – ein „Glanz“ in Berlin zu werden, nach den Enttäuschungen in der rheinischen Heimat. Ihr Pech mit den Männern, dieser fleischgewordenen Bigotterie und Geilheit, bleibt ihr auch in der Hauptstadt treu. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das am wenigsten an ihr liegt. Keuns persönliche Erfolge mit ihren starken, selbstständigen Frauenrollen waren nach Hitlers Machtergreifung 1933 schnell vorbei – ihre Bücher wurden verboten. Sie geriet in Vergessenheit. Erst kurz vor ihrem Tod 1982 wurden Keuns Werke wieder populärer.

Dass die Trierer Inszenierung von Yves Bombay nach der Bühnenfassung von Gottfried Greiffenhagen zum großen Erfolg wurde und nun wieder auf dem Spielplan stand, daran hat Anna Pircher wesentlichen Anteil: Sie nimmt das Publikum auch in der 90-minütigen Open-Air-Variante im Brunnenhof mit in die überschäumende Gefühls- und Gedankenwelt der 18-Jährigen. Den Ekel, die Wut, die Begeisterung, die Hoffnung und Ernüchterung – das setzt Anna Pircher absolut glaubwürdig um.

Die Gesangseinlagen – begleitet wird sie von Andrey Litvinenko am Klavier (Musikalische Leitung: Malte Kühn) – sind nette, wenn auch entbehrliche Zugaben, die auch schon mal regionalisiert sind: Im „Barbarasong“ aus der Dreigroschenoper trifft sie dann einen Mann aus Konz, im Original ist der aus Kent. Aber Männer sind ja auch alle gleich. Fast.

Nach der zweiten Aufführung im Brunnenhof gab’s standing ovations und einzelne Bravo-Rufe.

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